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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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witterte.
    »Was ist mit deiner Hand?«
    »Mit meiner Hand?« Hans versuchte, Zeit zu gewinnen.
    »Kann ich mal deine rechte Hand sehen? Ich habe immer geglaubt, du …«
    Der Inspizient kam ihm zu Hilfe. »Die Vorstellung beginnt in fünf Minuten. Noch fünf Minuten!«
    »Ich muss zu meinem Platz«, sagte er. Er warf ihr einen flüchtigen Kuss zu, stürmte nach draußen und lief über den Flur davon. Das war knapp gewesen.
    Hans war verärgert. Jetzt musste er auch noch den Plan ändern. Eigentlich hatte er vorgehabt, im Saal zu sitzen und Geisel zu spielen. Aber so, wie die Dinge jetzt lagen, war es wohl besser, die Flucht vorzubereiten.
    Der Pförtner sah ihn fragend an, als er an ihm vorbeieilte: »Wollen Sie denn die Premiere nicht sehen?«
    »Halstabletten! Ich muss Halstabletten für Maria Kamarov besorgen!«
    Der Pförtner machte große Augen. »Hat sie ein Problem mit der Stimme?«
    Hans hatte keine Lust auf ein längeres Gespräch und verdrehte bloß die Augen, bevor er durch den Bühneneingang verschwand.
    Er schloss die Autotür, blieb einen Moment lang still sitzen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Dann legte er das Handy neben sich auf den Sitz und verband es mit seinem iPod. Via Podcasting konnte er die Vorstellung verfolgen, während er zurück in ihr Versteck fuhr. Vorläufig wusste er noch nicht, was er mit Rudi machen sollte. Sein Bruder war zu einem Risiko geworden, aber schließlich hatten sie ihr ganzes Leben miteinander verbracht – wenn man es denn als Leben bezeichnen konnte. Im Grunde würde ihr Leben erst beginnen, wenn ihre Mutter gerächt war und Kamarov seine verdiente Strafe bekommen hatte. Sie mussten verschwinden und unter einer anderen Identität neu anfangen. Ein neues Leben, vielleicht in Südfrankreich oder in Montenegro, im Heimatland ihrer Mutter. Gerne hätte er die weißen Frühlingsblumen in ihrem Dorf gesehen.
    Er blickte auf den iPod. Vorläufig gab es nur die Totale aus dem Zuschauerraum. Erwartungsvolle Menschen, die aufgeregt miteinander plauderten. Allem Anschein nach verzögerte die Vorstellung sich ein wenig. Hans hoffte, dass das kein schlechtes Zeichen war. Dann hörte er Applaus.
    Die Kamera zoomte den Dirigenten heran, ein kleiner Mann mit Smoking. Die graumelierten Locken umspielten seinen Kopf wie eine Wolke und mussten für die Zuschauer, die direkt hinter ihm saßen, ziemlich störend sein. Aber vielleicht fand er es nur angemessen, einen prominenten Platz im Bühnenbild einzunehmen. Der Applaus legte sich, und die ersten Töne der Ouvertüre hallten aus dem iPod.
    Die Musik war schön. Klaus Häfer war für die seriöse Gegenwartsmusik, was Andrew Lloyd Webber für das Musical war. Nach Jahrzehnten der Pling-Plong-Musik hatte er einen neuen Trend begründet. Er hatte die Melodie wieder eingeführt und bewiesen, dass Avantgarde nicht gleichbedeutend mit Atonalität sein musste. Im Gegenteil, es war ihm gelungen, die atonale Musik als etabliert und langweilig zu demaskieren. Der Aufruhr der Moderne lag darin, wieder Harmonien und Melodien zu wagen, ein bisschen so wie in der Bildkunst, in der es inzwischen wieder höchst angesagt war, figurativ zu sein. Häfers Idee bei dieser Oper war, dass der Terroranschlag stärker auf das Publikum wirken würde, wenn die Musik mit ihrer Schönheit einen scharfen Kontrast zu der grausamen Handlung bildete.
    Dann erklang mit einem Mal Marias überirdische Stimme. Nach nur wenigen Takten wurde sie von spontanem Applaus unterbrochen. Ein Kommentator fiel ein und erklärte, dass dieser Applaus nicht nur Marias sensationeller Stimme geschuldet war, sondern auch ihrem Mut.
    Die Show läuft, dachte Hans zufrieden. Es würde noch eine Weile dauern, bis Tom Hartmann zur Aktion schreiten sollte, aber Hans drosselte dennoch die Geschwindigkeit und steckte das Handy in die Halterung am Armaturenbrett. Die Nummer des Handys, das er Tom gegeben hatte, war eingespeichert. Wenn er ihn anrief, würde die erste Bombe hochgehen. Das zweite Handy steckte in der Box. Beide Handys hatten nagelneue Prepaid-Karten, das Risiko, dass jemand anderer anrief und die Explosion auslöste, war also minimal.
    Werner Diepold stand ganz hinten im Saal unter den Balkonen und gönnte sich den Luxus, die schöne Musik zu genießen. Häfer war einer seiner Lieblingskomponisten. Der Polizeipräsident trug, wie sich das für eine Premiere gehörte, seine Galauniform. Kamarov hatte zwar darauf bestanden, dass alle Sicherheitsvorkehrungen höchst diskret

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