Tödlicher Applaus
vonstattengingen, aber Diepold hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Er hatte schon immer einen Hang zum Theatralischen gehabt. Außerdem fühlte er sich in dieser Uniform fast wie ein Teil der Vorstellung. Zufrieden hatte er gesehen, dass sich manche Leute umgedreht und sich zugeflüstert hatten: Da ist der Polizeipräsident, dann sind wir ja in Sicherheit.
Auch wenn Diepold davon überzeugt war, dass seine Vertrauten Kamarovs Büroräume effektiv durchsucht hatten, wusste er ebenso gut, dass man sich bei einem Mann wie Kamarov nie ganz sicher sein konnte. Es war gut möglich, dass er auch noch an anderen Orten Beweismaterial versteckt hatte. Deshalb war es von entscheidender Bedeutung, dass wieder Geld in Kamarovs Imperium floss. Wenn Kamarov über die Klinge sprang, konnte das auch das Aus für Werner Diepold sein. Der Polizeipräsident fuhr entschlossen mit dem Finger über die messerscharfe Bügelfalte seiner Uniformhose. Victor Kamarov durfte ihn nicht mit ins Elend reißen.
Er ließ seinen Blick durch den Saal schweifen. Das Foto von Tom Hartmann, das ihnen die Polizei in Oslo geschickt hatte, war mehr als zwanzig Jahre alt und ziemlich unbrauchbar. Es zeigte ein blasses, kleines Gesicht, eingerahmt von langen Haaren und Bart. Diepold zuckte mit den Schultern, um den Druck abzuschütteln. Er bezweifelte, dass Hartmann während der Premiere zuschlug. Vermutlich versteckte er sich irgendwo in einem stinkenden Keller oder im Wald und hatte alle Hände voll damit zu tun, nicht in die Fänge der Polizei zu geraten. Sollte Hartmann wider Erwarten doch einen Anschlag verüben, dann sicher an einem ganz anderen Ort, während die Aufmerksamkeit aller auf die Wiener Staatsoper gerichtet war. Der Hauptfokus der Polizei lag dementsprechend nicht auf der Premiere, sondern auf einer landesweiten Fahndung, für die er Lochmann die Verantwortung übertragen hatte. Nie zuvor war mit einem solchen Polizeiaufgebot nach einem einzigen Mann gesucht worden. Er selbst hatte sich aus all der Arbeit die Rosine herausgepickt: die Absicherung der Premiere. Das sicherte ihm Medienpräsenz, freundliches Entgegenkommen und aller Voraussicht nach einen herrlichen Abend in der Oper.
Diepold hatte die Handlung sehr genau studiert, um eine Übersicht über die Bewegungen auf der Bühne und im Saal zu haben. Die Oper basierte auf tatsächlichen Geschehnissen: dem Anschlag auf das Dubrowka-Theater in Moskau, bei dem tschetschenische Terroristen das Theater gestürmt und Publikum und Schauspieler als Geiseln genommen hatten, um so den Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien zu erzwingen. Die Terroristen hatten das ganze Theater vermint und mehr als neunhundert Personen drei Tage lang gefangen gehalten, bis russische Spezialkräfte Gas in die Belüftungsanlage leiteten, um dem Drama ein Ende zu bereiten.
Bis jetzt hatte die Handlung nichts Dramatisches. Auf der Bühne entfaltete sich eine lustige Komödie im besten Mozart-Stil, begleitet von Melodien, die direkt ins Ohr gingen. Diepolds Blick huschte von der Bühne zu den Großleinwänden rechts und links daneben. Maria Kamarov war in Nahaufnahme zu sehen, und sie war einfach hervorragend. Sie vereinte Musikalität, Charme und Sinnlichkeit. Wäre er doch nur dreißig Jahre jünger! Diepold seufzte. Maria eroberte das Publikum im Sturm, und die Stimmung war auf ihrem Höhepunkt.
Umso dramatischer der Effekt, wenn das Theater von den »Terroristen« übernommen wurde. Sie sollten aus dem Saal kommen, begleitet vom Knattern der Maschinengewehre. Rauchschwaden würden Bühne und Saal einhüllen und es erschweren, einen etwaigen realen Angriff zu entdecken. Die Rollen der »Terroristen« waren mit Sängern des Opernchors besetzt, und Diepold war überzeugt, dass er mit seinem trainierten Blick problemlos einen Opernsänger von einem Attentäter unterscheiden konnte. Was die Situation allerdings unübersichtlich machte, waren die Kameraleute und Aufnahmetechniker.
Sechs Kameras und zwei Handkameras waren im Einsatz. Natürlich musste es für einen Psychopathen wie Tom Hartmann verlockend sein, derart im Rampenlicht zu stehen. Wenn er vor laufenden Kameras einen Mord beging, würde er sich für alle Zeiten einen Platz in der Musikgeschichte sichern.
Diepold fasste an die rechte Seite seiner Brust. Unter seiner Jacke trug er eine Walther P38 mit 9-Millimeter-Parabellum-Geschossen. Er konnte die Waffe entsichert mit gesenktem Hahn unter seiner Jacke tragen und gleich den Abzug
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