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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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dunkelblauem Samt gekleidet. Er sah kleiner aus, als Steen ihn in Erinnerung hatte. Der Mann hatte viel von seiner energischen Ausstrahlung verloren, mit der er früher seine Umgebung bezwungen hatte. Er wirkte ausgesprochen fahl. Im Scheinwerferlicht all der Fernsehkameras, die sich nun um ihn drängten, reflektierte seine Haut das Blau der Smokingjacke, was ihn noch blasser machte. Seine Stimme jedoch ließ keinen Zweifel an seiner Stärke. Sie übertönte den Hintergrundlärm mit imponierender Kraft.
    »Dieser Abend ist ein Triumph in mehrfacher Hinsicht!« Kamarov sah die Fernsehreporter der Reihe nach an. »Zum einen ist er ein künstlerischer Sieg für den Komponisten, den Librettisten und den Regisseur. Aber ich wage auch zu behaupten, dass wir heute Abend den definitiven Durchbruch einer jungen Sängerin erleben werden. Meinen vehementen Warnungen zum Trotz hat sie beschlossen, die Hauptrolle zu singen. Und ich muss zugeben, das beeindruckt selbst ihren abgebrühten Vater. Aber wichtiger als alles andere ist …« Kamarov hielt einen Moment inne. Für die Umstehenden wirkte es wie eine dramatische Pause, doch Kamarov brauchte Zeit, um sich zu erholen. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten und jedes Wort ein Hammerschlag gegen die Innenseite seiner Schädeldecke.
    »Wir lassen uns trotz der brutalen Anschläge auf James Medina und Francesco Arpata keine Angst machen! Wenn wir uns von solchen sinnlosen Taten einschüchtern lassen, stirbt die Oper! In diesem Augenblick ist ein geballtes österreichisches Polizeikorps Tom Hartmann auf den Fersen. Der Auftritt meiner Tochter heute Abend ist auch ein Appell an alle Sängerinnen und Sänger, die es nicht mehr wagen, eine Bühne zu betreten: Lasst euch keine Angst machen! Nehmt eure Arbeit wieder auf, und kommt zurück auf die Bühne! Der Gesang ist unsere Waffe. Ohne die Sänger bekommen Gewalt, Hass und Terror die Oberhand. Und ich füge hinzu: Wenn meine Tochter es wagt, sollten alle anderen sich sicher fühlen!«
    Kamarov signalisierte, dass das Interview beendet war. Der begeisterte Applaus all jener, die ihm zugehört hatten, begleitete ihn in den Zuschauerraum.
    Michael Steen hatte Kamarovs Auftritt beobachtet, ohne selbst von seinem Schwiegersohn bemerkt worden zu sein. Das also war der Plan. Um die eigene Haut zu retten, setzte er das Leben seiner Tochter aufs Spiel.
    Zwei Platzanweiser brachten Michael Steen und Anna zu ihren Plätzen. Es war Michael gelungen, dass Anna trotz aller Vorschriften der Brandschutzverordnung in ihrem Spezialstuhl direkt neben ihm am Rand der dritten Reihe sitzen durfte.
    Kamarov hatte sie bemerkt und kam pflichtschuldig auf sie zu, um sie zu begrüßen.
    »Michael«, sagte Kamarov.
    »Victor«, sagte Steen.
    Kamarov strich Anna mit dem Handrücken über die Wange.
    »Lass das«, sagte Steen.
    Seine Stimme war emotionslos, aber für Kamarov war es wie ein Faustschlag. Er sah Steen unsicher an, aus dessen Blick ihm eisige Kälte entgegenschlug. Dann drehte er sich um und ging zurück an seinen Platz. In fünf Minuten sollte die Vorstellung beginnen.
     

Die Premiere
    »Diese Weste macht mich dick«, beklagte sich Maria.
    »Du kannst überhaupt nicht dick aussehen«, sagte Hans Maier und knöpfte ihr die Weste bis obenhin zu. »Im Gegenteil, du hast damit eine bessere Körperhaltung, sie stützt dein Rückgrat und deine Taille. Du siehst toll aus.«
    »Wirklich?«
    Hans begegnete Marias vertrauensvollem Blick. In diesem Augenblick war sie sogar für ihn unwiderstehlich. Dann erinnerte er sich daran, wer sie war und wer er war.
    »Komm nicht auf die Idee, die Weste abzulegen! Es könnte lebensgefährlich sein.« Hans sagte die Wahrheit. Er hatte eine Sprengladung montiert, die in dem Moment gezündet wurde, in dem Maria die Weste auszog.
    »Jag mir nicht solche Angst ein. Ich bin ohnehin schon nervös genug. Ich brauche einen Kuss, um singen zu können.«
    Sie nahm Hans’ Hände und hielt sie fest, während sie sich küssten. Seine Hände waren weich, fast wie die eines Mädchens. Hans wollte sie wegziehen, aber Maria hielt sie fest umklammert und streichelte seine schlanken Finger. Dann hielt sie abrupt inne. Was war das gewesen? Rudi fehlte doch ein Glied am rechten kleinen Finger? Aber hatte sie nicht soeben dort einen Fingernagel gespürt?
    Hans sah die Verwirrung in Marias Augen und verfluchte seine Unvorsichtigkeit. Einen Moment lang standen sie still voreinander. Maria sah aus wie ein Reh, das plötzlich einen Jäger

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