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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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verschwand er durch eine Tür ins Treppenhaus, um sich zu sammeln. Was er sich vorgenommen hatte, war unmöglich. Ohne einen guten Vorwand käme er niemals an dem Polizisten vorbei in Medinas Zimmer. Außerdem glich ihm das Bild auf seinem Namensschild nicht sonderlich und würde einer näheren Inspektion auf keinen Fall standhalten. Er ging im Treppenhaus auf und ab, um seine Gedanken zu sortieren.
    Eine einzige Möglichkeit gab es, aber die war äußerst riskant und ließ ihm keinen zeitlichen Spielraum. Er konnte den Feueralarm auslösen. Wurden dadurch jedoch – wie in vielen Krankenhäusern – auf jeder Station Brandtüren aktiviert, um die Ausbreitung des Feuers zu begrenzen, dann säße er in der Falle und könnte seinen Rückzug nicht so rasch wie geplant durchführen. Außerdem war bei prominenten Risikopatienten wie Medina wohl immer ein Krankenpfleger anwesend, der sich rund um die Uhr um den Verletzten kümmerte und diesen nicht einmal während eines Feueralarms verließ.
    Das Risiko abwägen und in Aktion treten, selbst bei ungewissem Ausgang . Vater Joachims Stimme hallte in seinem Kopf. Er hatte diese Leitsätze bis ins Rückenmark verinnerlicht. Er holte tief Luft und schlug die Scheibe des Feuermelders ein. Unmittelbar darauf erklang das rhythmische und durchdringende Heulen des Alarms.
    Er lief zurück auf Medinas Station, doch niemand nahm von ihm Notiz. Er war einer von vielen, die auf den Feueralarm reagierten. Der Polizist hatte seinen Platz verlassen, um herauszufinden, ob es sich um eine Übung oder einen Ernstfall handelte. Rudi Maier schlüpfte in Medinas Zimmer und schickte ein stilles Stoßgebet zum Himmel, dass dort drinnen niemand war.
    Offenbar hatte Gott aber kein Ohr für Gebete von Menschen wie ihm, denn neben Medinas Bett saß eine ältere, robust gebaute Krankenschwester. Als sie Rudi eintreten sah, erhob sie sich und sagte etwas für ihn komplett Unverständliches. Sein Nicken war allem Anschein nach überzeugend, denn die Schwester lief aus dem Zimmer und ließ Rudi allein bei dem Patienten zurück. Überall blinkten rote und grüne Kontrolllampen. Medinas Körper war über einen Hauptschlauch an unzählige Leitungen angeschlossen, die seinen malträtierten Leib mit einem Cocktail aus Nährstoffen, Flüssigkeit, Morphin, Valiumpräparaten und blutdruckhebenden Mitteln versorgten.
    Das Adrenalin rollte wie ein Tsunami durch Rudis Körper. Er war jetzt kein denkendes Wesen mehr, sondern ein instinktiv handelnder Mechanismus. Sein Puls pochte so heftig, dass er die Schläfen zu sprengen drohte, als er eine Schublade nach der anderen aufriss. Sein Unterbewusstsein wusste, wonach er suchte, und als er es schließlich fand, schien der bewusste Teil seines Gehirns den bereits existierenden Plan gutzuheißen.
    Eine leere Spritze und eine Kanüle. Ohne zu zögern, füllte Rudi die Spritze mit Luft und stieß die Nadel in den dicken Schlauch, der direkt unter dem Schlüsselbein in Medinas Körper ging. Er drückte den Kolben nach unten und pumpte Luft in den Schlauch, der direkt in die Hauptvene führte. Von dort würden die Luftblasen ins Herz gelangen und innerhalb kurzer Zeit zum Herzstillstand führen.
    Rudi zählte die Sekunden und wartete. Nichts geschah. Medina lag genauso friedlich da wie vorher, und die Ausschläge auf dem Gerät, das die Herzfrequenz anzeigte, waren enttäuschend gleichmäßig. Rudi füllte die Spritze erneut mit Luft und pumpte eine weitere Portion in Medinas Hauptvene. Auch die Gründlichkeit war eine der Eigenschaften, die Vater Joachim ihm eingebläut hatte. Wieder wartete Rudi und zählte die Sekunden. Wie lange dauert das denn noch? Jetzt stirb schon, verdammt! Rudi wollte weg, so schnell wie möglich, stieg doch das Risiko, entdeckt zu werden, mit jeder Sekunde, die er länger in Medinas Zimmer blieb. Noch immer keine Reaktion. Medina sah so klein aus. Blass und erschöpft, den Mund leicht geöffnet. Die Augen friedvoll geschlossen.
    In diesem Augenblick ging die Tür auf. Rudi verkrampfte sich. Ein Pfleger steckte den Kopf herein und sagte einige hastige Sätze auf Norwegisch. Rudi hielt die Luft an. Er hatte dem Pfleger den Rücken zugedreht und wagte erst, sich umzudrehen, als er die Tür ins Schloss fallen hörte. Ein drittes Mal füllte er die Spritze mit Luft und pumpte sie in Medinas Vene.
    Mehr konnte er nicht tun. Rudi zog die Nadel ab, wickelte sie mit der Spritze in Papier ein und steckte sie in die Tasche. Er hoffte, es war nur eine Frage von

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