Tödlicher Applaus
mir seither nichts sehnlicher, als dass Victor Kamarov nur ein schlechter Traum ist. Aber der Gestank in dieser Wohnung beweist leider deine Existenz. Aber was noch schlimmer ist: Du bist mit meiner Tochter verheiratet.« Michael Steens Wut wuchs mit jedem Satz.
»Ich wollte erst mal eine Grundlage schaffen, für Anna und mich.«
Gina drehte sich auf dem Sofa um und erbrach sich erneut.
»Verdammt noch mal, ich habe dir noch nicht das Wort erteilt!« Steens Wut hatte die nächste Stufe erklommen. James im Bad wagte kaum mehr zu atmen.
»Papa, du hast mir versprochen, ruhig zu bleiben.«
»Eine Grundlage schaffen!«, brüllte Steen. »Meinst du damit etwa das hier?«
»Papa!«
»Was tust du in diesem Loch? Warum bist du nicht bei deiner Frau in Stockholm? Wer ist die Frau auf dem Sofa, und was macht diese geschminkte Tunte in deinem Bad?«
Victor holte tief Luft.
»Du brauchst gar nicht zu antworten, es sind ja doch nur Lügen.«
»Papa, so … so darfst du mit Victor … nicht reden!«
Annas Tränen strömten ungehemmt über ihre Wangen. Michael Steen hielt mitten im Anlauf zu einer weiteren Tirade inne. Es brachte ihn aus dem Konzept, dass seine Tochter ihm in den Rücken fiel.
»Anna, wir waren uns doch einig. Ich bin deinetwegen hier.« Steen setzte sich auf die Lehne des Sofas, obgleich er so der Frau, die dort weiß Gott welchen Rausch ausschlief, unangenehm nah kam.
Victor war in diesem Moment alles andere als ein Raubtier. Er machte jetzt wirklich einen aufrichtigen Eindruck: »Ich … ich wollte Anna nie verletzen. Oder dich …« Victor machte lange Pausen, fuhr aber gerade noch rechtzeitig fort, um Steen an einem Konter zu hindern. »Ihr hättet mich doch nicht gehen lassen, hätte ich euch von meinen Plänen erzählt. Ich wollte selbst ein Leben für Anna und mich aufbauen. Nicht nur als Schwiegersohn des großen Michael Steen.«
Steen wollte etwas sagen, aber seine Tochter stoppte ihn. Victor spürte, dass seine Worte Wirkung zu zeigen begannen. Vielleicht konnte er doch noch alles zu seinem Vorteil wenden.
Drüben im Bad kämpfte James mit seinem nervös gurgelnden Magen, er hörte kaum noch, was gesprochen wurde.
Victor dämpfte seine Stimme zu einem einschmeichelnden Pianissimo: »Ich bin nach Wien gegangen, um einen Klavierwettbewerb zu gewinnen, doch unmittelbar davor stürzte ich auf einer Treppe und brach mir die Hand. Die Verletzung wird mich mein Leben lang beeinträchtigen und hat meine Karriere als Pianist verhindert. Ihr könnt euch vorstellen, wie verzweifelt ich war! Aber heute Abend habe ich meinen bisher größten Triumph gefeiert. Morgen könnt ihr es schwarz auf weiß in den Zeitungen lesen. Der Mann dort drüben im Bad, den du als Tunte bezeichnest, ist der derzeit größte Tenor der Welt, und ich bin sein Manager. Er hat heute Abend sein Debüt an der Wiener Staatsoper gegeben, er hat die Hauptrolle im Liebestrank gesungen. Ich habe gekämpft, Tränen vergossen, alles gegeben, was ich hatte, und an diesem Abend bin ich dafür belohnt worden. Die Metropolitan bettelt bereits auf den Knien um einen Vertrag.«
Den nächsten Satz formte er mit übertriebenen Lippenbewegungen, sprach ihn fast lautlos aus, denn was er sagte, war nicht für James Medinas Ohren bestimmt: »Sechzig Prozent seines Honorars gehen an mich, an Victor Kamarov.«
Die Pause, die nach Victors Verteidigungsrede entstand, hätte aus einem perfekt inszenierten Familiendrama stammen können. Sie verhalf Michael Steen dazu, die Wirklichkeit zu akzeptieren. Das Ganze war komplizierter, als er angenommen hatte, und er trat den Rückzug an.
Dennoch ging Victor noch nicht davon aus, dass die Gefahr gebannt war. Der schwierigste Teil stand doch noch aus. Wie sollte er Gina erklären? Er ging ein kalkuliertes Risiko ein.
»Die Frau auf dem Sofa kenne ich nicht. Sie lag auf unserer Fußmatte, als wir nach Hause kamen. In Moskau ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man sich um Menschen in Not kümmert. Es ist unsere Pflicht, zu helfen, dabei betrachten wir es eigentlich gar nicht als Pflicht, sondern als Privileg.«
Er spürte, dass sowohl Anna als auch Michael Steen weich wurden. Die Scham zeichnete rote Flecken auf den Hals seines Schwiegervaters, ihm war unverkennbar unwohl in seiner Haut.
Victor war jetzt in der Offensive und lud nach: »Kann gut sein, dass sie eine Bewunderin von James Medina ist. Eine Frau, die ihn singen gehört und dann seine Nähe gesucht hat. Offenbar hat sie sich nicht getraut,
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