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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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immer dort sein.
    An der Rezeption wartete ein elegant gekleideter Mann. Er trug einen dunklen Anzug und ein frisch gebügeltes Hemd. Sein Gesicht verriet, dass er schon einiges durchgemacht hatte. Die schiefe Nase schien gebrochen gewesen zu sein, und seine dunklen Augen scannten permanent die Umgebung.
    »Michael Steen?«, fragte er. Die Stimme war hell, mit einem unangenehmen metallischen Klang. »Stan Vasilov.«
    Michael Steen reichte ihm die Hand: »Ich glaube nicht, dass ich Ihre Dienste in Anspruch nehmen muss. Richter und ich haben gestern ein bisschen viel getrunken … Sie wissen, wie das ist: Man erleichtert sein Herz … Aber ich …«
    »Wien ist ein Dorf. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?«
    Vasilovs dunkle Augen schnitten wie Laserstrahlen in Steens aufgewühltes Innenleben. Er bemerkte, dass der Mann vor ihm extrem selten mit den Lidern schlug. Er fühlte sich wie gefangen im Licht von Scheinwerfern, die ihm überallhin folgten und denen er nicht entrinnen konnte.
    »Hören Sie.« Steen kämpfte um Haltung. »Sie sind ein viel beschäftigter Mann, und das bin ich auch. Ich bin dankbar für die Freundlichkeit, die Sie mir entgegenbringen, und ich trinke gerne eine Tasse Kaffee mit Ihnen. Aber die Dinge sehen etwas anders aus, wenn man eine Nacht darüber geschlafen hat. Mir wäre es am liebsten, wir würden die ganze Angelegenheit einfach wieder vergessen.«
    »Wie Sie wollen.« Vasilovs Augen sahen jetzt beinahe amüsiert aus. »Richter meint es manchmal zu gut mit seinen Mitmenschen: Häufig stößt er Dinge an, ohne darüber nachzudenken. No hard feelings. Na dann, adieu«, fügte Vasilov hinzu und reichte Michael Steen die Hand.
    »No hard feelings«, antwortete Steen erleichtert und ging zum Ausgang.
    Er griff nach der Türklinke, als wäre sie der rettende Anker in seinem Leben.
    »Wien ist ein Dorf«, wiederholte Vasilov, als Steen auf dem Weg in die Freiheit war. Dann fügte er hinzu: »Es kursieren eine Menge Gerüchte über Victor Kamarov.«
    Steen blieb stehen. Was wusste der Mann über seinen Schwiegersohn?
    Vasilov trat so dicht vor Steen, dass dieser seinen Atem spürte. Er roch nach Kaffee, Tabak und einem ungewöhnlichen Rasierwasser. »Es heißt, er wohnt mit einer Prostituierten zusammen.«
    »Meine Tochter ist keine …«
    »Ich rede nicht von Ihrer Tochter.«
    »Sie meinen …?«
    »Außerdem heißt es, er sei gewalttätig. Er soll sich die rechte Hand bei einer Prügelei verletzt haben. Angeblich, als er den Zuhälter der Hure, die bei ihm wohnt, zusammengeschlagen hat.«
    Steen formte eine Frage mit den Lippen, aber Vasilov kam ihm zuvor: »Kann es sein, dass Ihre Tochter auch schon einmal seinen Ausbrüchen ausgesetzt war. Frauen haben häufig Schwierigkeiten, über ihre gewalttätigen Ehemänner zu sprechen.«
    Michael Steen verschlug es den Atem. Sein Schwiegersohn hatte ihm dreist ins Gesicht gelogen. Er hatte behauptet, sich die Hand bei einem Sturz von der Treppe verletzt zu haben. Und die Frau auf dem Sofa war natürlich … Er hätte es gleich merken müssen. Er suchte etwas, wo er sich abstützen konnte, und Vasilov war sofort zur Stelle und bot ihm seine Hand an.
    »Setzen Sie sich, ich glaube, Sie brauchen jetzt doch einen Kaffee.«
     

Petit Versailles
    »Komm!« Victor nahm Annas Hand und zog sie hinter sich her zum Ausgang des Hotel Imperial.
    »Wohin gehen wir?«
    Victor legte ihr wie immer, wenn er etwas nicht sagen wollte, den Zeigefinger auf die Lippen. Er war den ganzen Tag fort gewesen und wirkte stolz und ausgeglichen. »Überraschung.«
    »Und unser Gepäck?«, fragte Anna, als sie ins Taxi verfrachtet wurde.
    »Das ist doch nur dreckige Wäsche. Wollen wir etwa dreckige Wäsche waschen? Lass uns ein neues Leben beginnen. Kein Gepäck, keine Vergangenheit, keine schlechten Erinnerungen.« Victor zog die Mundwinkel zu seinem Raubtiergrinsen hoch, legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Du und ich, wir sind geboren, um in einem Schloss zu leben.«
    Anna schmiegte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine kräftige Brust. »In einem Schloss?«
    Er hielt ihr die Hand vor die Augen. »Mach die Augen zu, bis wir da sind!«
    Anna schloss die Augen und versuchte, Victor noch näherzukommen. Er roch gut, und die Tatsache, dass sie sein Herz schlagen hörte, dämpfte die Zweifel, die an ihr nagten. Die vielen Fragen, die ihr Vater ihr gestellt hatte – und die sie sich selbst gestellt hatte. Sie schob ihre Bedenken entschieden beiseite und konzentrierte

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