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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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skrupellos wie genial. Weigerte sich ein Manager, einen seiner Sänger an Kamarov abzutreten, lud er den nichtsahnenden Kontrahenten zu einem Gespräch unter vier Augen ein, einem Zweikampf, den er nie verlor.
    Vor Gina hielt er seine neue Adresse geheim. Und je erfolgreicher er wurde, desto mehr verschwand sie in den hintersten, vernebelten Winkel seines Bewusstseins.
    Jeden Abend fuhr er nach Hause in die rosa Villa, in der Anna ihr Kind austrug. Meistens lag sie im Bett, hinter verschlossenen Türen. Die eisige Wand, die sich mittlerweile zwischen ihnen gebildet hatte, schien unüberwindlich. In der Regel versuchte er es mit »Anna, es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe«, erhielt jedoch keine Antwort darauf. Also ging er nach unten und goss sich einen doppelten Whisky ein, bei dem es allerdings nicht blieb. Irgendwann zog es ihn wieder nach oben, wo er erst gegen ihre Tür hämmerte, sie dann auf Knien anflehte und sie schließlich beschimpfte. Zu guter Letzt nahm er eine Dusche und fuhr mit den Buchungen seiner Sänger fort. Seine Arena war die Welt, und wenn die Büros in Wien schlossen, öffneten die in Tokyo oder Peking. An einem solchen Abend fasste er auch den Entschluss, noch eine andere Tätigkeit aufzunehmen. Eine Tätigkeit, die er bewusst verborgen hielt.
    Auch James Medinas Persönlichkeit veränderte sich. Die grenzenlose Begeisterung des Publikums, die jedes Mal aufbrandete, sobald er den Mund öffnete, die Bravorufe, die Mädchen, die am Bühneneingang warteten und nur zu gerne für eine Nacht mitkamen, beeindruckten ihn und führten dazu, dass er an seine Vortrefflichkeit und an das Bild, das sein Publikum ihm überstülpte, zu glauben begann. Die Menschen setzten ihn mit seinen Heldenrollen gleich und verehrten ihn wie einen Gott.
    James Medina wurde ein Zyniker, ein Narziss, der mit den Gefühlen unschuldiger Menschen spielte. Er wurde ein Verführer ersten Ranges. Mal hatte er reiche, verheiratete Frauen, die aus ihrer langweiligen Ehe ausbrechen wollten und Spannung suchten, mal naive junge Mädchen, die in James Medina den Gipfel des Glücks sahen. Und auch wenn sie alle unter Tränen bald wieder das Weite suchten, gestand sich keine von ihnen je ein, einen Fehler begangen zu haben.
    James erzählte Gina, dass Victor verheiratet war und nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle, woraufhin sie vollständig zusammenbrach und stundenlang weinte. Zu James’ Missfallen blieb sie bei ihm wohnen, nachdem Victor ausgezogen war. Er verlangte von ihr, auf einer Matratze auf dem Treppenabsatz vor dem Dachboden zu schlafen, wenn er Damenbesuch hatte. Angesichts der wachsenden Distanz zwischen ihnen fiel es ihr immer schwerer, ihm zu offenbaren, was seinerzeit geschehen war und was sie für Victor und ihn geopfert hatte. Als sie es ihm doch eines Tages anvertraute, wurde er wütend und beschimpfte sie. Sie hatte nicht die Kraft, etwas zu erwidern und James zu sagen, dass die Ereignisse sie nicht mehr losließen und sie wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens verfolgen würden.
    Weil James zu feige war, Gina zu bitten, dass sie auszog, verkaufte er kurzerhand die Wohnung, ohne ihr etwas zu sagen. So stand sie eines Tages vor einer Tür mit einem neuen Schloss. Ihre Kleider befanden sich in einer Kiste auf der Treppe, auf der ein Zettel klebte: »Bin umgezogen, danke für alles, James.«
     

Blaue Augen
    Toms Atem ging schwer, als er die Treppe zu Kamarovs Büro emporstieg. Die Prügelei des Vortags und der Alkohol danach forderten ihren Tribut. Aber sein Plan war vollkommen klar. Wenn Rudi Maier nicht im Büro war, würde er ein Computerproblem vortäuschen und dafür sorgen, dass Rudi einbestellt wurde. Sollte er von der Schlägerei ein blaues Auge davongetragen haben, würde er das kaum verstecken können, und Tom konnte Cathrine einen wertvollen Hinweis geben. Ihm graute ein bisschen vor dieser Begegnung, denn er wusste, wie hoch Kamarov Rudi Maier schätzte, und die Behauptung, Maier sei in sein Hotelzimmer eingebrochen, konnte ihn und das Magazin einiges kosten.
    Er hörte Kamarovs Stimme durch die solide Eingangstür. Sie donnerte wie ein Orkan, und er verstand einzelne Wörter wie »Taugenichtse«, »Amateure«, »Reporterschweine«.
    Kamarov stand in Hemdsärmeln mitten im Raum und ruderte mit den Armen. In den Händen hielt er ein Dutzend unterschiedliche Zeitungen, die in fetten Schlagzeilen über Medinas geheimnisvollen Damenbesuch berichteten, während über die Beerdigung nur wenig

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