Tödlicher Applaus
zu lesen war. Alle Angestellten duckten sich über ihre Tastaturen oder Unterlagen in dem Bemühen, Kamarovs Zorn nicht auf sich zu ziehen.
Als Kamarov Tom erblickte, ließ er seinen aufgestauten Groll an ihm aus. »Wissen Sie, welche verfluchte polnische Hure das an die Presse hat durchsickern lassen? Welche dumme Lesbe will Medinas Andenken denn jetzt wieder in den Dreck ziehen? Hat denn niemand Respekt vor den Toten?«
Tom hatte nicht schon zur Begrüßung mit einem solchen verbalen Frontalangriff gerechnet. Ohnehin schon angeschlagen, blieb er schwankend in Kamarovs Schusslinie stehen. »Das ist … Bestimmt hat intern jemand geredet … jemand von der Oper.«
»Ich fahre da hoch und schneide dem Opernchef höchstpersönlich die Eier ab. Die bringe ich vor Gericht! Die kriegen eine Schadensersatzklage, die sich gewaschen hat! Dilettanten! Amateure! Schaffen es nicht einmal, den Ruf eines Sängers zu wahren. Wie sollen sie da jemanden daran hindern, Medina zu töten? Und die Polizei, die ist noch schlimmer! Die Ermittlungen führen doch zu nichts! Und das, das ist die Schuld Ihrer Exfrau!«
In diesem Moment betrat Rudi Maier den Raum. Sein linkes Auge war jedoch nicht sichtbar, zudem drehte er ihnen jetzt den Rücken zu und suchte etwas in seinem Postfach.
»Können wir ein vertrauliches Gespräch in Ihrem Büro führen?« Tom merkte, dass Rudi eine Sekunde erstarrte.
»Natürlich.«
Kamarov schloss die Tür hinter ihnen und nahm an seinem antiken Schreibtisch Platz. Tom entschied sich, stehen zu bleiben.
»Gestern Abend ist jemand in mein Hotelzimmer eingebrochen.«
Kamarov sagte nichts, gab Tom aber zu verstehen, dass er weiterreden sollte.
»Das Ganze endete in einer Prügelei mit dem Einbrecher. Er hatte einen schwarzen Strumpf über dem Kopf, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Aber es ist mir gelungen, dem Typen eine rechte Gerade aufs Auge zu verpassen. Der Kerl dürfte ein dickes Veilchen haben.«
Kamarov beugte sich vor und stützte den Kopf auf die Hände. »Haben Sie den Einbruch der Polizei gemeldet?«
»Vorläufig nicht. Ich wollte erst mit Ihnen sprechen.«
»Gut.« Kamarov schob etwas auf seinem Schreibtisch hin und her. »Kommen Sie zum Punkt, lieber Freund.«
»Es wird Ihnen nicht gefallen.«
»Überlassen Sie diese Entscheidung bitte mir.«
»Der Mann, mit dem ich mich geprügelt habe … Das Gesicht war unter dem Strumpf nicht zu erkennen, aber er hatte lange, blonde Haare. Ich habe das Ende seines Pferdeschwanzes gesehen.«
Kamarov erhob sich mit unterdrücktem Unmut und trat ans Fenster, wo er die Arme vor der Brust verschränkte und auf irgendetwas unten auf der Straße starrte. »Lassen Sie mich raten, Hartmann. Haben Sie es wieder auf Rudi Maier abgesehen?«
»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass es Ihnen nicht gefallen wird.«
»Da irren Sie sich. Sollte jemand aus meinem Büro bei Ihnen im Hotel eingebrochen sein, werde ich ihn persönlich zur Polizei schleppen.« Kamarov öffnete die Tür und rief: »Rudi! In mein Büro, sofort!« Er drehte sich zu Tom um und sah ihn wie ein Anwalt an, der seinen letzten Trumpf ausspielte. Toms Zuversicht war wie weggeblasen.
»Womit kann ich Ihnen dienen?«
Rudis Stimme klang freundlich und zuvorkommend. Seine eisblauen Augen sahen unschuldig aus, und er strahlte Tom engelsgleich mit einem makellosen Gesicht an. Kein Veilchen, nicht die Spur einer Blessur.
Es wurde still im Raum.
Kamarov brach das Schweigen. »Würden Sie Hartmann bitte eine Kopfschmerztablette und ein Glas Wasser bringen? Er hat gestern etwas über die Stränge geschlagen. Sie können es am Empfang abstellen. Hartmann wollte gerade gehen.« Er schloss die schwere Mahagonitür. »Gehen Sie nach Hause, und schlafen Sie Ihren Rausch aus. Sie sehen grauenvoll aus.«
»Tut mir leid.«
»Ich habe mich vielleicht nicht klar genug ausgedrückt«, sagte Kamarov und bohrte seinen dunklen, intensiven Blick in Tom. Ein Schweißtropfen heftete sich an den Diamanten in seinem rechten Ohrläppchen, und die Adern in seinen Schläfen zeigten rhythmisch Kamarovs erhöhten Puls an. Abgesehen davon war der Mann aber vollkommen beherrscht. »Ich habe Sie nicht eingestellt, um meine Mitarbeiter zu schikanieren. Sie sollen über Medina schreiben. Sollten Sie dabei auf etwas stoßen, das uns hilft, den Mörder zu überführen, ist das gut, sehr gut. Nichts würde mich mehr freuen. Aber vergessen Sie Rudi Maier. Was sollte er denn für ein Motiv haben, Medina zu töten? Außerdem:
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