Tödlicher Applaus
Oper selbst gekommen sein. Die Christliche Volkspartei fordert bereits den Kopf des Opernchefs, und der schiebt den Pressesprecher vor. Die beiden bewegen sich auf dünnem Eis. Hast du Besuch?«
Tom ließ ihre Frage unbeantwortet. »Dann können sie gleich den Rücktritt aller wichtigen Opernchefs weltweit fordern. Medina hat ohne seine Rituale nie gesungen.«
»Du meinst ohne seine Prostituierten?« Cathrine seufzte, und Tom spürte die Verachtung, die sie für Männer wie Medina empfand. Jeder Versuch, ihn zu verteidigen, wäre nutzlos. »Die VG hat sogar auf Basis der Zeugenaussagen eine Zeichnung anfertigen lassen. Ich schicke sie dir per Mail.«
»Kann das nicht bis morgen warten?« Tom hatte keine Lust, zurück in die Wirklichkeit gezerrt zu werden.
»Victor Kamarov will sich dazu nicht äußern. Er bezeichnet die norwegische Polizei als einen Haufen talentloser Polacken«, sagte Cathrine verärgert.
Tom musste ein Lachen unterdrücken. In diesem Moment hätte er Kamarov küssen können. Katja bewegte sich im Bett. »Ich muss jetzt auflegen. Mach’s gut.«
Tom kroch vorsichtig neben Katja ins Bett und lauschte ihrem Atem. Sie war wieder eingeschlafen. Als er sicher war, dass sie fest schlief, stand er auf und schaltete den Laptop ein.
Im Bademantel des Hotels wartete er auf die E-Mail. Es ärgerte ihn, dass er jetzt doch tat, worum Cathrine ihn gebeten hatte. Warum war er nicht einfach neben Katja liegen geblieben und hatte ihren Duft genossen, die Zeit zurückgespult und all die fantastischen Momente, die er mit ihr gehabt hatte, noch einmal erlebt? Nach all den Ehejahren mit Cathrine spurte er noch immer und führte ihre Befehle prompt aus. Und damit nicht genug: Sie schaffte es sogar, dass er ein schlechtes Gewissen hatte und sich fühlte, als wäre er ihr untreu gewesen. Es war vollkommen absurd. Warum hatte er ihr nicht gesagt, dass jemand bei ihm war? Eine Frau, schöner als alles, was er sich in seinen wildesten Fantasien je erträumt hatte.
Es gab aber noch einen weiteren, eher praktischen Grund, warum er Cathrines Bitte nachkam. An diesem Morgen wollte er mit dem Zug zu den Bregenzer Festspielen an den Bodensee fahren, und bis er dort im Hotel eincheckte, hätte er keinen Internetzugang, und Cathrines umfangreiche E-Mail-Anhänge auf sein Handy herunterzuladen würde ihn ein Vermögen kosten.
Cathrines Mail erschien als »dringlich« markiert auf dem Bildschirm. Cathrine forderte sogar eine kurze Rückmeldung, wenn er die Mail gelesen hatte, was er ihr aus reinem Trotz versagte. Er öffnete den Anhang, kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder, um die Zeichnung aufs Neue zu betrachten. Doch es gab keine Zweifel: Auch mit unscharfen Konturen sah ihr die Zeichnung extrem ähnlich. Die Frau hatte eindeutig die Züge von Katja Henning.
Er blickte zu Katja hinüber. Sie schlief mit einer Hand unter dem Kinn, in seliger Unwissenheit über seine Entdeckung. Noch einmal warf er einen Blick auf die Zeichnung. Überprüfte sie mit maximaler Konzentration. Finde etwas, das nicht übereinstimmt, dachte er, irgendetwas, das nicht Katja ist!
Da hatte er endlich eine anziehende Frau getroffen, die ihn mochte, und ausgerechnet die sollte etwas mit dem Mord an Medina zu tun haben. Ausgeschlossen! Außerdem hatte sie blaue und nicht grüne Augen. Aber ihre Züge glichen denen auf dem Bild auf erschreckende Weise. Verdammte Cathrine! Musste sie auch noch nach ihrer Scheidung sein Liebesleben kontrollieren? Sie hatte doch ihren Börsenmakler, mischte sich aber trotzdem in Toms Beziehungen ein und säte Zweifel. Beziehung war vielleicht ein wenig übertrieben. Ein One-Night-Stand war noch nicht einmal ein Fuß in der Tür. Dann fiel ihm ein, dass er Cathrine nichts von seiner Begegnung mit Katja erzählt hatte.
Sein Handydisplay leuchtete auf, und Tom drückte auf den Antwortknopf, bevor Medina seine Arie beginnen konnte. Er ging wieder nach draußen auf den Flur und schloss die Tür hinter sich. Er musste daran denken, den Klingelton zu wechseln.
»Hast du die Zeichnung bekommen?«
Mein Gott, wie er seine Ex in diesem Augenblick hasste. »Ich habe mich gerade erst abgetrocknet. Ich war unter der Dusche.«
»Mitten in der Nacht? Was treibst du eigentlich?«
»Ich dusche, wann es mir passt.«
»Hast du dir die Zeichnung angesehen?«
»Ich habe sie vor mir. Da klingelt nichts bei mir.« Tom war verblüfft über seine Antwort. Für gewöhnlich wagte er es nicht, Cathrine anzulügen. Jetzt tat er es,
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