Tödlicher Applaus
mit einer Hand über die Stirn, um ihre Gemütsbewegung zu überspielen.
Überrascht sagte Tom: »Ich dachte, Sie hätten veilchenblaue Augen? Irre ich mich?«
Katja lachte. »Sie haben mich das eine Mal in dem abgedunkelten Zuschauerraum gesehen, und das zweite Mal waren Sie halb bewusstlos. Wie ist es möglich, dass Sie sich daran erinnern?«
»Das war eben eine schicksalsschwere Begegnung. Sie hat sich in meine Erinnerung eingebrannt.«
»Linsen«, gestand Katja. »Ich wechsele gern die Farbe. Ab und zu fühle ich mich grün, dann wieder blau. Ich habe sogar ein Paar pechschwarze.«
Dieses Geständnis machte Tom ganz kribbelig, aber er verwies seine Gefühle schnell wieder in ihre Schranken. »Und was ist Ihre ursprüngliche Augenfarbe?«
Katja lächelte und schüttelte den Kopf.
Der Oberkellner kam und forderte ihre Aufmerksamkeit. »Aperitif?«
»Zwei Bellini«, sagte Tom weltgewandt. Sein Handy vibrierte lautlos in seiner Hosentasche. Ein rascher Blick sagte ihm, dass es Cathrine war. Ihm schoss durch den Kopf, dass er mit der Wahl des Aperitifs Cathrines unleidlichen Börsenmakler kopierte, und ignorierte das Gespräch.
»Was ist das?« Katjas Augen glänzten.
»Was?«
»Bellini?«
»Bellini war …«
»Sagen Sie es nicht: Medinas Lieblingskomponist?« Unter dem Tisch ballten sich Katjas Hände zu Fäusten.
»Durchaus möglich, wenn er ein lyrischer Tenor gewesen wäre. Bellini war Hemingways Lieblingsaperitif, eine Kreation aus Harry’s Bar in Venedig: Pfirsichsaft und Champagner.«
Tom fühlte sich heiter und beschwingt. Katja strahlte eine Unverdorbenheit und Naivität aus, die seine Sorgen albern wirken ließen.
»Was führt Sie nach Wien?«, erkundigte sie sich.
»Medina. Ich soll in meinem Magazin über ihn schreiben, Opera Today . Ich war gestern bei seiner Beerdigung.«
Ein Zigeunertrio trat an ihren Tisch. »Haben Sie einen Wunsch?« Der kleine, korpulente Geiger in seinem weißen Seidenhemd und der roten Weste blinzelte Tom verschwörerisch zu.
Toms Handy verkündete einen weiteren Anruf. Wieder Cathrine. Es war zum Verrücktwerden, dass sie ihn nicht in Ruhe ließ.
» Amor ti vieta «, sagte Tom, ohne nachzudenken.
»Complimenti, eine sehr gute Wahl«, sagte der untersetzte Geiger und begann zu zählen. Das Trio spielte eine glühende Version der schmachtenden, romantischen Arie.
Als sie fertig waren, legte Tom fünf Euro in die Schale, die die Musiker auf den Tisch gestellt hatten. Sie verneigten sich und gingen weiter.
»Eine wunderschöne Melodie. Was heißt Amor ti vieta ?«
»Liebe verbietet«, antwortete Tom. »Liebe verbietet, Lieb zu verbieten …«
Sie sahen sich lange in die Augen.
»Skål«, sagte Tom.
»Auf das, was die Liebe verbietet?«
Der Oberkellner legte ihnen die Speisekarten vor. Tom war nicht ganz bei der Sache. Er hatte nur Augen und Ohren für Katja. Als der Oberkellner fertig war, sagte er einfach: »Überraschen Sie uns!« Sein Handy vibrierte zum dritten Mal.
Katja fühlte sich wohl in Toms Gegenwart, ihr war, als taue ihre Seele auf. Alle Ängste wegen Rudi Maier oder Medina fielen bei Toms unterhaltsamen Opernanekdoten von ihr ab.
Und in der Tat: Tom übertraf sich selbst. Katja inspirierte ihn. Vergessen war die Blamage in Kamarovs Büro, vergessen der Groll gegen Cathrine und ihren irritierenden Liebhaber. Er konzentrierte sich ausschließlich auf Katjas umwerfendes Wesen, den Rotwein, den sie aus großen Riedel-Gläsern tranken, und die ausgesucht köstliche Speisenfolge, die gar kein Ende nehmen wollte. Wien zeigte sich an diesem Abend von seiner romantischsten Seite.
Als der Oberkellner sie als Letzte katzbuckelnd hinausbegleitete, ganz benommen von dem großzügigen Trinkgeld des Norwegers, war Tom bis über beide Ohren verliebt, vollkommen taub und blind für die leisen Signale von Katjas Kampf um Selbstbeherrschung. Sie spazierten durch Wiens charmante Gassen und die laue Sommernacht. Als Katja sich bei ihm einhakte, begann er Wiener Lieder zu summen. Er, der Opernfanatiker, der den Klang seiner Stimme normalerweise nicht ertragen konnte, sang an diesem Abend ganz selbstverständlich Robert Stolz’ unsterbliche Melodien.
Bella figlia dell’ amore
»Magst du mit raufkommen und dir meine Minibar angucken?«
Katja nickte lächelnd.
Im Aufzug fiel Tom die Schlüsselkarte aus der Hand, und als beide sich bückten, um die Karte aufzuheben, ergab sich der Kuss ganz von allein. Ihre Lippen schienen ein Eigenleben zu führen, das
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