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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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langen blonden Locken nach hinten und stand auf.
    »Wirkt das nicht ein bisschen …«
    In diesem Augenblick betrat Olga Martonova die Szene. Mit einer Miene, als befände sie sich in einer griechischen Tragödie, kam sie in die Kantine gestürmt, hielt inne, stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und atmete mit gesenktem Blick ein paar Mal tief ein und aus. Zwei Chorsänger sprangen auf und liefen zu ihr. Sie fegte sie mit einer dramatischen Geste beiseite und bedachte sie mit einem Blick, der besagte: Danke, aber damit muss ich alleine fertig werden. Dann nahm sie Haltung an, ging mit heroisch-ausladenden Schritten zu der Frau an der Essenausgabe und sagte mit Stentorstimme: »Ich brauche einen Cognac.«
    Der Casting-Berater beobachtete den Auftritt mit Interesse und drehte sich zu Maria um. Um seine Mundwinkel zuckte es. »… primadonnenhaft? Meintest du nicht, du müsstest erst nach der Pause auf die Bühne? Unnahbarkeit, Maria, ist das erste Gebot für einen zukünftigen Star.«
    Maria sah ihn bewundernd an. Dann schüttelte sie grinsend den Kopf. »Du bist ein echter Fuchs!«
    Inzwischen hatte sich ein bunter Haufen um Olga Martonova geschart: Bühnentechniker in Overalls, Chorsänger in kreischend bunten Kostümen. Wassermann wollte, dass jedes Kostüm durch seine schrille Farbkombination abstrakte Verzweiflung ausdrückte. Die Frau hinter dem Tresen brachte einen zweiten Cognac, den die Martonova ebenso flott hinunterkippte wie den ersten.
    Insgeheim triumphierte die Primadonna. War ihr nicht ein würdevoller Abgang gelungen? Nie im Leben hätte sie zugegeben, dass sie panische Angst hatte, das nächste Opfer zu werden, doch nun war sie auf höchst elegante Weise raus aus der Sache und in Sicherheit. Wer hatte schon jemals wutschnaubend eine Philip-Wassermann-Produktion verlassen? Da durfte man sich wohl einen Cognac genehmigen!
    Der Casting-Berater gab am Haustelefon neben dem Kantinentresen eine Nummer ein. »Rudi Maier hier, Kamarov Management. Sie haben gerade Maria Steen auf die Bühne gerufen?«
    Der Inspizient räusperte sich. »Ist Maria in der Nähe? Es ist äußerst dringend. Der Opernchef ist ebenfalls auf dem Weg.«
    »Ihre Probe beginnt erst nach der Pause, aber ich werde mein Möglichstes tun, sie zu erreichen. Geben Sie mir zehn Minuten.« Rudi lächelte Maria an: »Das läuft wie am Schnürchen. Lass sie ruhig ein wenig warten.« Er zwinkerte ihr zu.
    Am liebsten hätte sie ihn jetzt in den Arm genommen. Sie war verliebt, konnte Rudis Gefühle für sie aber nicht recht einschätzen. Vor einigen Wochen hatte sie sich ein Herz gefasst und ihn eingeladen. Sie hatten einen netten Abend im Sacher verbracht, bei dem Rudi der vollendete Kavalier gewesen war. Er war gebildet, und in seiner Gesellschaft fühlte Maria sich wie die einzige Frau auf der Welt. Er stellte die richtigen Fragen, machte die richtigen Komplimente, und er sah gut aus. Ein bisschen zu gut vielleicht. Maria befürchtete, er könnte schwul sein. Als sie sich an jenem Abend verabschiedeten, war wieder sie es gewesen, die die Initiative ergriffen und ihn geküsst hatte.
    Im ersten Moment hatte er ihren Kuss heftig erwidert, dann aber hatte er sich plötzlich von ihr losgerissen und sie erschrocken angesehen: »Das geht nicht.«
    »Was geht nicht?«
    Er hatte unglücklich ausgesehen. »Das hier – du und ich.« Dann war er leicht verwirrt mit der rechten Hand durch seine blonden Locken gefahren. Maria erinnerte sich genau daran, dass es die rechte Hand gewesen war, weil Rudi sonst immer alles mit der linken machte. Er habe Komplexe wegen des verstümmelten kleinen Fingers an seiner rechten Hand, hatte er ihr irgendwann einmal gestanden.
    Nun standen sie wieder voreinander, in der Oper, und sie hatte das Bedürfnis, mit ihm zusammen zu sein, für immer.
    »Lass uns in die Garderobe gehen und eine Verhandlungsstrategie entwerfen.« Rudi setzte eine geschäftsmäßige Miene auf.
    »Aber warst du nicht zu einem wichtigen Essen verabredet?«
    Rudi lächelte. »Ja, aber das hier ist wichtiger.«
     

Seven C’s
    Richter konnte sein Glück kaum fassen. Inzwischen war er ein alter Mann, der größtenteils aus Kunststoff oder Porzellan bestand. Trotzdem schien er noch nicht ganz am Ende zu sein, wie seine abendliche Verabredung bewies. Richter schlug einen Akkord auf der Harfe an, die er zentral im Wohnzimmer neben dem Flügel platziert hatte, der gerade von einem türkischen Knaben mit Inbrunst poliert wurde, damit er mit den

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