Tödlicher Applaus
tief in die Augen sah.
Richter bebte vor Vorfreude und Erregung. Der junge Mann hatte Bildung. Richter hielt ihm zwei alte tschechische Champagnerkelche mit klassischem Goldrand hin. Rudi füllte die Gläser nonchalant, sodass der Schaum über den Rand quoll. Richter schwindelte vor Glück. Er strich sich über das Toupet und merkte nicht, dass es ein wenig verrutschte.
Rudi bemerkte, dass Richter Eyeliner und Rouge aufgetragen und die Lippen rot geschminkt hatte. Er sah aus wie ein alternder Pfau. Schwarze Hose, die im Schritt knitterte, weißes, gestärktes Hemd und ein rotes Samtjackett mit Paisleymuster.
»Prosit!«, rief er übertrieben laut. Es klang wie der Schrei eines Adlers.
Rudi nickte ihm zu.
»Ach, jetzt hätte ich doch fast den Kaviar vergessen. Und die Zwiebeln und die Crème fraîche.« Richter zog einen mit altem, pressvergoldetem Leder bezogenen Stuhl vom Esstisch. »Setzen Sie sich doch.« Er zauberte eine Damastserviette herbei, die er Rudi sorgsam um den Hals legte. Seine Finger verweilten ein wenig zu lange auf Rudis Wange, als dass man es als reine Höflichkeitsgeste hätte nehmen können. Dann setzte er sich auf den zweiten Stuhl am Esstisch, knotete sich ebenfalls eine Serviette um den Hals und versuchte, Rudis Reaktion zu deuten. Er stach seinen Löffel gleichzeitig mit Rudi in die Kaviarkugel und verharrte so, wobei er mit leiser Stimme hauchte: »Beluga, das Erlesenste überhaupt.«
Richter schickte einen dankbaren Gedanken an Stan Vasilov, der ihn mit dem Kaviar versorgt hatte – ein weiterer Vorteil dieser Geschäftsbeziehung. Er führte den Löffel zum Mund und legte den Kaviar auf seine Zunge, die in seinem blassen Gesicht allzu rosa aussah. Rudi tat sein Bestes, sich seinen Widerwillen nicht anmerken zu lassen.
»Unfassbar köstlich«, sagte er, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, als wäre er im siebten Himmel. Er wusste nicht, ob er diese Maskerade die ganze Mahlzeit über durchhalten würde oder ob er sein Vorhaben nicht lieber beschleunigen sollte. »Ich bin gespannt auf die Fortsetzung.« Rudi heftete seinen eisblauen Blick auf Richters Pupillen.
Es durchzuckte Richter. Schon wieder dieses Gefühl von Déjà vu. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass es an seiner unerwarteten und totalen Verliebtheit lag. Er war wie Wachs in den Händen dieses jungen Mannes und schluckte große Mengen Speichel hinunter. Wenn er sexuell erregt war, fing er immer an zu geifern. Er sprang auf und lief in die Küche, um den nächsten Gang zu holen, und kam mit einem perfekt gebratenen Chateaubriand, Kartoffeln mit sahnemarinierten Lorbeerblättern und ofengebackenem Gemüse zurück.
Rudi beschloss, von einer Sekunde zur nächsten zu leben, »muga-mushin«, wie die Japaner es nannten. Es gab keinen Grund, dieses Gourmetmenü nicht zu genießen, bis er tun musste, wofür er gekommen war.
Richter servierte einen Brunello, Jahrgang 2002, von dem Rudi zwei große Schlucke trank, um keinen Verdacht zu erregen. Richter kaute leidenschaftlich, saugte die Fleischstückchen nahezu aus und fuhr mit dem Brot über den Teller, um die Sahnesauce aufzustippen. Er war zwischen den Sinnesfreuden hin- und hergerissen. Auf der einen Seite die himmlische Mahlzeit, auf der anderen der Gedanke daran, Rudi Maier zu vögeln. Er sah nervös nach, ob auch nichts auf der Tafel fehlte. Der Rotwein war leer. Er hoffte, dass Rudi und nicht er den größeren Teil getrunken hatte. Das würde ihn williger machen. Richter stand auf, um Nachschub zu holen, bereits etwas unsicher auf den Beinen. Ihm war schummerig, und in seinen Ohren rauschte es.
Rudi beschloss, das Ganze zu beschleunigen. »Martha, Martha, du machst dir viele Sorgen und Mühen.«
Richter hielt inne. Ein merkwürdiges Zitat aus dem Munde eines jungen Mannes.
»Gehen wir gleich über zum Dessert?« Rudi lächelte, seine Augen funkelten.
»Aber selbstverständlich«, sagte Richter. »Ich habe Crème brû …«
»Sie missverstehen mich«, sagte Rudi und nahm Richters Hand.
Richter glaubte, ihm schwänden die Sinne. Seine Beine wollten unter ihm nachgeben.
»Wo ist das Bad?«
Richter zeigte auf eine Tür am Ende des Kaminzimmers.
»Lassen wir uns ein Bad ein.« Rudi lächelte wieder. »Crème brûlée können wir auch hinterher essen. Oder noch besser: Lassen Sie mich Sie damit füttern, wenn Sie in der Wanne liegen.«
Richters Mund versuchte, sich Rudi zu nähern, aber Rudi legte ihm einen Finger an die Lippen. »Gemach, ich möchte
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