Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)
»Ich erinnere mich, wie Simon nach dem Kindergarten daheim auf der Treppe saß und auf Zack wartete, damit er ihm zeigen konnte, was er gemacht hatte.«
Krampfhaft suchte ich nach tröstlichen Worten, aber ich wusste aus eigener Erfahrung, dass sich die Wunden des Verlusts in den nächsten Jahren nicht schließen lassen würden. Eines Tages würde Claire feststellen, dass ein paar Sekunden ohne schmerzhafte Erinnerungen vergangen waren. Irgendwann würden die Sekunden zu Minuten werden und dann zu Stunden, und wenn sie Glück hatte, würde es ein ganzer Tag werden. Aber das würde dauern.
»Waren Zack und Simon später auch noch so eng miteinander verbunden?«, fragte ich.
»Soweit das möglich war, denn sie lebten ja in verschiedenen Welten«, sagte Claire.
Fred räusperte sich. »Da Zack Polizist wurde und Simon Künstler, hatten sie nicht mehr die gleichen Freunde und so. Aber sie haben sich geliebt.«
»War denn Simon immer noch der kleine Bruder, falls Sie wissen, was ich meine?«
Claire nickte. »Oh ja. Zack ist immer der tolle große Bruder geblieben. Dass er Polizist wurde, hat ihn für Simon vermutlich zu einem noch größeren Helden gemacht.«
»Zacks Tod war sicher verheerend für ihn, oder?«, fragte ich vorsichtig.
»Das hat ihn völlig zerstört«, antwortete Fred, und in seiner Stimme lag nun zum ersten Mal echte Wut. »Bis dahin war er ein ziemlich glücklicher Mann. Er hatte auch eine Freundin – wie hieß sie noch mal, Claire?«
»Angie«, sagte Claire. »Sie war auch Künstlerin. Malerin. Die beiden waren noch eine ganze Weile zusammen nach … dem Mord an Zack.« Claire stolperte über das Wort, immer noch unfähig, es mit dem Namen ihres Sohnes in Verbindung zu bringen. Sie atmete flach ein. »Gott weiß, dass das nicht einfach war. Simon war vollkommen besessen von dem Fall. Es gab nichts anderes mehr für ihn. Angie dachte, er würde schon darüber hinwegkommen, wenn der Prozess erst einmal vorbei war. Aber dann wurde Lilah freigesprochen, und Simon hat sich total verschlossen. Wochenlang hat er nichts gegessen, nicht gesprochen und nicht einmal das Bett verlassen.«
»Und da hat sie ihn dann verlassen?«, fragte ich.
»Nein, Gott segne sie«, sagte Fred. »Sie blieb und wollte sich um ihn kümmern. Simon war es. Er hat sie zurückgewiesen, und schließlich hat er sie rausgeschmissen.«
»Er saß nur noch vor dem Computer. Sogar mit Rechtsfragen hat er sich beschäftigt und sich bei LexisNexis angemeldet, um Zugriff auf alle möglichen Datenbanken zu haben«, sagte Claire und schüttelte den Kopf. »Irgendwann kam er dann auf die Idee, den Fall vor das Bundesgericht zu bringen.«
»Von dem Moment an war er wie besessen«, sagte Fred. »Jeden Tag schrieb er an die Staatsanwälte dort. Es dauerte eine Weile, aber dann schrieben sie zurück. Sie dankten ihm für sein Bemühen, erklärten aber, dass sie den Fall aus formalen Gründen nicht annehmen könnten.«
Der Fall war nicht prominent genug und auch nicht erfolgversprechend. Einer dieser Punkte reichte schon, um ihn von vornherein aus dem Rennen zu schlagen.
»Das hat ihn gründlich verstört«, fuhr Fred fort. »Danach ging er ständig zum Gerichtsgebäude im Zentrum.« Er unterbrach sich und betrachtete seine Hände, die er zwischen seinen Knien verschlungen hatte.
»Wie lange hat er das getan?«, fragte ich.
»Gut sechs Monate, würde ich sagen.« Claires Gesicht war schmerzlich verzogen. »Und eines Tages hat er sich dann etwas zu sehr … aufgeregt. Wir bekamen einen Anruf, dass er wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet worden sei.«
Bailey und ich wechselten einen Blick. Davon war nirgends die Rede.
»Hat man die Sache weiterverfolgt?«, erkundigte sich Bailey.
»Wir sind hingefahren und haben mit dem Polizisten gesprochen, der ihn festgenommen hatte«, sagte Fred. »Dem haben wir die ganze Geschichte erläutert, was mit Zack passiert ist und so weiter. Es stellte sich heraus, dass der Polizist den Fall kannte. Simon tat ihm leid. Er hat ihm das Versprechen abgenommen, nie wiederzukommen, dann hat er ihn laufen lassen.«
»Und anschließend ist er nicht mehr zum Gericht gegangen?«, fragte ich.
»Danach ist er nirgendwo mehr hingegangen«, sagte Claire und zog die Mundwinkel nach unten. »Eine Woche später war er plötzlich verschwunden. Kein Anruf, keine Mail, sein Atelier stand sperrangelweit offen.«
Fred hustete und legte die Hand vor den Mund. Dann ließ er sie wieder in den Schoß sinken. »Wir
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