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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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auch dabei gewesen, erinnerte er sich.
    Aber eigentlich waren das ja
nur
schlechte Zeiten gewesen, keine traumatischen Erlebnisse. Wenn er seinen persönlichen Irrsinn analysierte, was nicht ohne psychologische Qualen möglich war, kam er zu dem Ergebnis, dass die ausschweifende Sexualität seiner Mutter nicht der Auslöser für seine Probleme war. Sie reichten viel weiter zurück. Er erinnerte sich gut an die intensiven Lustgefühle, die ihn noch vor dem Grundschulalter befallen hatten, wenn er bei Sonnenschein Ameisen mit dem Vergrößerungsglas in Brand steckte; erinnerte sich sogar an den beißenden Gestank der kleinen Rauchwolken, die bei der Verbrennung aufgezuckt waren. Und in der Grundschule hatte er während der Pause Springmäuse im Aquarium ertränkt, als Mrs. Bennett auf dem Schulhof ihrer Aufsichtspflicht nachkam; er erinnerte sich an die Stille im Klassenzimmer und das entfernte Geschrei der anderen Kinder draußen, kaum hörbar durch die geschlossenen Fenster, und an das verzweifelte Strampeln der Mäuse. Es dauerte ihm zu lange, und so tauchte er sie unter, beide, eine nach der anderen, und er hatte ihren langsamen Todeskampf erregt durch die Glasscheiben beobachtet …
    Er hatte damals schon gelernt, seine Impulse vor anderen zu verbergen. Er war aus dem Klassenzimmer geschlüpft, um schnell noch ein paar Worte mit der Lehrerin auf dem Schulhof zu wechseln und so seine Anwesenheit dort zu dokumentieren.
    Und als man die toten Springmäuse gefunden hatte, war er frohen Herzens dem Komitee zur Ausrichtung ihrer Beerdigung beigetreten.
    Sein persönlicher Irrsinn hatte ihn sein Leben lang begleitet; er musste dieses Kreuz tragen. Und er trug schwer daran. Seine Mutter war
nicht
dafür verantwortlich zu machen.
    »… bla-bla-bla?« Barstad fragte irgendetwas.
    Er hatte kein Wort ihrer Suada verstanden. Er hatte sie ja auch nur als Requisit mitgenommen. Cops stellten den ganzen Campus auf den Kopf, na und … Hier, ihr Cops, bitteschön, das ist meine feste Freundin, falls ihr auf den Gedanken kommen solltet, mit mir sei was nicht ganz in Ordnung. »Wie bitte?«
    »Was machen wir jetzt?«, wiederholte Barstad ihre Frage. »Es gibt ja nicht viel zu tun, bis man sie … ehm, ihre Leiche freigibt.«
    »Ich kann so was im Moment noch nicht verkraften«, sagte er. »Ich rufe heute Nachmittag ein Bestattungsunternehmen an. Sie sollen alles regeln. Wir waren nicht religiös, also wird es keine kirchliche Trauerfeier geben.« Seine Tränen waren versiegt. »Sollen wir … ach, ich weiß auch nicht. Soll ich dich nach Hause bringen?«
    »Wir könnten ja noch ein bisschen rumlaufen.«
    »Ich habe heute noch nichts gegessen«, sagte Qatar. »Aber ich weiß nicht, ob ich überhaupt was runterbringe. Vielleicht irgendeine Kleinigkeit.«
    Sie gingen zum Pillsbury Building, fuhren mit dem Aufzug hoch zur Einkaufspassage. »Hier ist es wie in einem orientalischen Basar«, sagte Barstad. Sie saßen im hinteren Teil eines Cafés, aßen Baklava und tranken starken Kaffee. »Hier kriegt man alles, was die Menschen zwischen Istanbul und Kairo zu essen pflegen, unter denselben äußeren Umständen, nur dass die Leute im Nahen Osten höflicher sind und der Kaffee dort nicht so gut ist.«
    »Ich war nie dort, im Nahen Osten«, sagte Qatar desinteressiert. Und dann unvermittelt: »Ist dir schon aufgefallen, dass Männer mit einer gewissen Schädelform in Kleidungsstücken mit hohem Kragen nicht gut aussehen? Dass sie besser flache Kragen tragen sollten?«
    »Wie bitte?«
    »Würde mir ein Rollkragenpulli gut stehen, was meinst du? Oder bedeckt er den Hals so weit, dass ich wie ein … wie ein rausgeputzter Renaissance-Bürger aussehen würde?« Er schob die Hände übereinander und legte die Daumen wie im Würgegriff unter das Kinn, um ihr die Höhe des Kragens zu demonstrieren. »Es rahmt das Gesicht ein, isoliert es aber auch.«
    »Ich verstehe«, sagte sie. »Nun ja, wenn der betroffene Mann von Natur aus einen braunen Teint hätte oder sonnengebräunt wäre, könnte es sein, dass sein Kopf irgendwie … hölzern wirkt. Du würdest wahrscheinlich aussehen wie eine geschnitzte Holzstatue auf einem Podest.«
    »Hmmm«, grunzte er. Aber irgendwie klang das interessant. »Lass uns noch ein bisschen rumlaufen«, sagte er.
    Er hatte ja schließlich das Geld aus dem Haus seiner Mutter in der Tasche, und Saks und Neiman Marcus lagen direkt um die Ecke. Auf dem Weg zur Mall blieb er vor dem Schaufenster eines Juweliers stehen und warf

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