Toedlicher Blick
Mitternacht.
Qatar sah auf die Uhr, als er vor Randys Haus angekommen war. Zehn nach zwölf. Randy wohnte in einem Stadthaus, das für einen Yuppie gebaut zu sein schien – grau und weiß, eingebettet in eine lange Reihe ähnlicher Häuser, die allesamt den Eindruck machten, von einem Architekten entworfen zu sein, der ansonsten nüchtern-kühle Regierungsgebäude konzipierte. Qatar hatte das nicht erwartet.
Aber Randy kam zur Tür. Er trug einen roten Seidenmorgenmantel, und ein braun gesprenkelter Joint steckte in einer Onyxzigarettenspitze in seiner Hand. Er hatte den Mund wütend verzogen. »Wer zum verdammten Teufel bist du?«, fauchte er.
»Oh, Randy, ich habe Sie doch angerufen …« Qatar trat einen Schritt zurück, wollte schnell wieder gehen.
»Scheiße hast du. Weshalb sollt’st du mich anrufen?« Randys Augen waren vernebelt; er war auf einem Trip, und offensichtlich nicht nur von ein bisschen Hasch. Qatar trat noch einen Schritt zurück.
Randy trat seinerseits einen Schritt auf ihn zu, und Qatar schaute schnell links und rechts die Straße hinunter. Eine solche Szene konnte er im Moment nun wirklich nicht gebrauchen. »Ich habe heute Nachmittag angerufen. Ich habe Schmuck dabei.«
Der Nebel schien sich ein wenig zu lichten. »Jim«, sagte er. »Du bist Jim.«
»Ich gehe jetzt besser … Sie sehen aus, als ob Sie ein wenig Schlaf gebrauchen könnten.« Qatar ging nicht auf die kumpelhafte Anrede ein.
Randy lachte plötzlich los, stieß ein lang gezogenes rollendes Dröhnen aus wie ein alternder Bluessänger. »Ich brauch keinen Schlaf. Ich
brauch
keinen Schlaf.« Er wurde wütend. »Hast du gesagt, ich würd Schlaf brauchen?«
»Hören Sie …«
»Komm rein.« Randy trat dicht vor Qatar und packte ihn über dem Ellbogen am Arm. Seine Finger fühlten sich wie mechanische Klauen an. »Ich habe ’ne schicke Bude. Wart’s mal ab, bis du drin bist. Du bist Jim, Jim …«
Qatar wagte keinen Protest, wurde ins Haus gezerrt, eine elegante Treppe hoch in den ersten Stock zu einer Galerie. »Jetzt guck dir das mal an«, sagte Randy.
Qatar war echt erstaunt, stieß einen Pfiff aus.
Scharlachrote Tapeten ringsum, und dazwischen drei auf antik getrimmte Spiegel mit Rahmen aus einer Schaumstoffmasse, die vergoldetes Holz vortäuschte. Auf einem schwarzen Pelzteppich stand eine weiße, pelzbezogene Couch gegenüber einem Fernsehgerät mit einem fast eineinhalb Meter breiten Bildschirm. In der Wand links neben dem Fernseher befand sich ein Kamin mit einer stählern glänzenden Einfassung. Erté-Grafiken hingen an allen Wänden.
Randy scheint ein Einrichtungshaus gefunden zu haben, dachte Qatar, das ganz groß darin war, seine Kunden mit Nachbildungen teuren Kitsches zu versorgen. »Wirklich erstaunlich, Randy«, sagte er.
Randy lehnte sich an das Geländer neben der Treppe, richtete sich auf und sah sich um, als ob er tatsächlich etwas erstaunlich fände. Fehlte da nicht etwas? Er schien zu überlegen, schrie dann plötzlich: »Heh, du Schlampe, komm her!«
Ein schlankes blondes Mädchen tauchte im Flur auf. Ungefähr sechzehn, dachte Qatar. Es war barfuß und ließ demütig die Schultern sinken, sagte entschuldigend: »Ich war nur mal auf dem Pipi-Klo, Randy.«
»Na schön, und jetzt holst du für mich und meinen Freund hier ein Bier. Und zwar verdammt schnell. Und wasch dir vorher die Hände.«
»Mit Gläsern?« Die Frage klang wie ein Winseln.
»Natürlich mit verdammten Gläsern. Und wehe, die sind nicht sauber.« Zu Qatar sagte er: »Ich habe ihren Willen immer noch nicht ganz gebrochen.«
Qatar nickte und versuchte zu verbergen, dass ihm diese Szene peinlich war; nun ja, wirklich peinlich war sie ihm eigentlich nicht …»Ich habe einiges Zeug mitgebracht.«
»Na, dann schau’n wir’s uns doch mal an, Jim.« Qatar übergab ihm das Säckchen mit dem Schmuck, und Randy schüttete den Inhalt in seine Hand, die plötzlich nicht mehr zitterte. »Was ist er wert?«
»Ich habe ihn bei einem Juwelier schätzen lassen. Für mich müssten dreitausend rausspringen. Sie können in Chicago sechstausend verlangen. Der Brillant und der Saphir sind echt.«
»Okay. Ich habe im Moment kein Bargeld im Haus. Du kriegst dein Geld übermorgen.« Er kippte den Schmuck zurück in das Säckchen, steckte es in die Tasche und sagte: »Jetzt guck dir das mal an …« Er nahm eine wie ein T geformte Fernbedienung in die Hand und deutete auf den Kamin. Eine Flamme zuckte empor. »Wie beim Einschalten des TV-Geräts
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