Toedlicher Blick
ihn getroffen haben, wahrscheinlich mit dem Ellbogen, aber er hatte keine Erinnerung daran. Und nach dem Riss zu urteilen, musste sie ihn hart getroffen haben. Die Lippe war noch nicht angeschwollen, aber er schmeckte jetzt das Blut in seinem Mund. »Das war gottverdammt überflüssig«, sagte er. Er fuhr mit der Zunge über den Riss, spürte den Schmerz, winselte. Die Lippe würde dick anschwellen, wenn er sie nicht bald mit Eis kühlte, aber sein schmaler Bart würde die Schwellung zumindest teilweise überdecken. »Gottverdammt überflüssig.«
Er durfte sich nicht ablenken lassen … Er zog sich wieder an, spülte im Klobecken das Kondom hinunter – zu seiner Überraschung befand sich Sperma darin; an eine Ejakulation konnte er sich nicht erinnern –, strich sein Hemd glatt, steckte es in die Hose, brachte sorgfältig sein Äußeres wieder in Ordnung. Riss eine Hand voll Toilettenpapier ab, ging damit durch das Appartement, wischte alles ab, was er berührt haben konnte. Eine weitere Spülung, dann war er fertig.
»Gott sei Dank gibt es Toiletten«, murmelte er vor sich hin.
Wertsachen. Bargeld würde er nicht finden, aber doch sicher andere kostbare Dinge … Randy hatte Neumanns Schmuck in die Tasche gesteckt, den musste er also abschreiben. Qatar durchsuchte das Appartement. Und fand keinen Schmuck oder andere wertvolle Sachen, die er hätte mitnehmen können. Randy hatte offensichtlich alles verscherbelt, was ein paar Dollar einbringen konnte.
»Schwachsinniger Trottel«, knurrte er laut. Auf dem Weg zur Tür stieg er über die Leiche der Frau. Interessante Gespielin für ein paar Minuten … Hübsche Titten, das musste man sagen.
Randy kam im Morgengrauen zurück, schlug mit den Fäusten gegen die Haustür, wollte das mühevolle Herumkramen nach dem Schlüssel vermeiden. Denn sein derzeitiger Zustand ließ nicht auf eine erfolgreiche Suche hoffen. Er schlug also gegen die Tür, immer wieder, bis ein Nachbar brüllte: »Aufhören, oder ich rufe die Polizei!«
Dumme Sau … Aber er konnte keine Polizei gebrauchen, also suchte er fünf Minuten lang nach dem Schlüssel, fand ihn, brauchte weitere fünf Minuten, bis er schließlich im Schloss steckte und die Tür aufschwang. Er brüllte die Treppe hinauf nach der Frau, bekam aber keine Antwort. Kletterte im Dunkeln die Treppe hoch – am Eingang gab es einen Lichtschalter, aber er war zu benebelt, ihn zu betätigen –, und im Wohnraum auf der Galerie stolperte er über die Leiche der Frau.
»Verdammte Scheiße …« Er tastete herum, spürte eine Frauenbrust unter den Fingern. Merkte sofort, was es war, erkannte aber auch, dass sie viel zu kalt war. Randy tastete weiter herum, und der Kokain-Nebel zerstob wie ein Furz in einem Donnergrollen. Er kroch zu einer Stehlampe, hangelte sich wie ein Affe an ihrem Stab hoch, knipste sie an.
Sah hinunter auf Wie-heißt-die-denn …Überhaupt, wer war diese Frau? Was um Himmels willen hatte er da gemacht? Er drückte die Handflächen gegen die Schläfen, versuchte, die Erinnerungen, die doch irgendwo in seinem Gehirn stecken mussten, zurück ins Gedächtnis zu pressen. Wann hatte er das getan?
»Verdammte Scheiße«, sagte er.
15
Weather hatte die Nacht bei sich zu Hause verbracht. »Wenn wir bis jetzt die Glocken noch nicht zum Läuten gebracht haben, glaube ich nicht mehr daran, dass wir es diesen Monat noch schaffen«, hatte sie gesagt. »Und außerdem riecht es inzwischen muffig in meinem Haus. Ich muss mal kräftig durchlüften.«
Lucas erinnerte sich nicht daran, als er aufwachte. Verschlafen streckte er die Hand nach ihrer Schulter aus, griff ins Leere, fuhr hoch, war plötzlich hellwach und enttäuscht, allein zu sein. Die Fragen, die er ihr in der Nacht zuvor gestellt hatte, fielen ihm wieder ein: Schwanger? Nicht schwanger? Wann würden sie es wissen?
»Demnächst«, hatte sie fröhlich geantwortet. »Es hat Spaß gemacht, mit dir daran zu arbeiten, Davenport. Vielleicht legen wir nächsten Monat wieder eine solche Arbeitswoche ein. Vielleicht brauchen wir das ja aber dann nicht mehr.«
Er lächelte bei diesen Gedanken vor sich hin, klopfte sein Kissen zurecht, ließ den Kopf darauf sinken und döste wieder ein. Lucas blieb abends gerne lange auf und schlief folglich morgens länger. Er war der Meinung, ein guter Tag sollte im Allgemeinen nicht vor zehn Uhr beginnen.
Kurz vor zehn klingelte das Telefon hartnäckig, und Lucas vermutete, dass Del für dieses penetrante Geräusch verantwortlich war.
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