Toedlicher Hinterhalt
schätzen.«
Sie kam ihm viel zu nahe, doch ging absichtlich keinen Schritt zurück. Sie fühlte sich genauso zu ihm hingezogen wie er zu ihr. Ganz bestimmt. Wenn er nicht in der Nähe war, zweifelte sie daran. Aber wenn sie ihm gegenüberstand … Sie bildete sich dieses Knistern zwischen ihnen beiden nicht bloß ein.
Er hatte sie am Abend zuvor für den Kuss um Verzeihung gebeten, der nun so viele Jahre zurücklag. Doch dafür, dass er tags darauf nach einer wirklich lahmen Verabschiedung einfach aus der Stadt verschwunden war, hatte er sich nicht entschuldigt. Dabei hatte sie in diesem Moment in der Küche gewartet, ob er es noch zur Sprache bringen würde. Doch er war ganz plötzlich gegangen, um nach Joe zu sehen, weshalb sie ihm nur die Hand gegeben hatte.
Was für eine Art, eine Verführungsaktion zu starten – mit einem festen Händeschütteln. Ihr war schon klar gewesen, dass sie irgendetwas unternehmen musste, also hatte sie – es wurde immer blöder und blöder – ihm einen Kuss auf den Handrücken gegeben.
Auf den Handrücken …
Genial …
Im Nachhinein fielen ihr nun jede Menge gute Antworten auf seine Entschuldigung ein. So etwas wie: »Du brauchst dich nicht für etwas zu entschuldigen, dass ich sehr genossen habe und unbedingt wieder tun möchte.«
Genau … als ob sie jemals den Mut aufbrächte, so etwas zu ihm zu sagen.
»Dann erklär’s mir«, forderte Tom sie auf. »Er hat also den Paoletti-Blick. Ich bin gespannt, zu hören, was du damit meinst.«
Was sollte sie ihm erzählen? Dass sie beim Blick in diese haselnussbraunen Augen förmlich dahinschmolz? Dass ihr Herz zu rasen anfing? Dass einige ziemlich heftige Fantasien dadurch angeheizt wurden, besonders wenn sie dabei noch an ein paar verstohlen ausgetauschte Küsse auf dem Vordersitz eines Kombis dachte?
»Also«, begann sie vorsichtig, »das ist wahrscheinlich so ein Fenster-zur-Seele-Ding. Vielleicht liegt es daran, dass ihr Halbitaliener seid, denn weder du noch Joe könnt eure Gefühle sonderlich gut verbergen. Aber das ist toll«, setzte sie schnell hinzu, als es so aussah, als wollte er protestieren. »Vielleicht liegt es auch daran, dass ihr beide immer ein wenig traurig wirkt, selbst wenn ihr lacht.« Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Das kommt wahrscheinlich davon, dass ihr so viele Geheimnisse hütet.«
Als er loslachte, erschienen Grübchen auf seinen Wangen. »Ich habe keine Geheimnisse.«
»Sicher«, gab Kelly zurück. »Abgesehen davon, dass du ein Navy SEAL bist und alles, was du tust, der Geheimhaltung unterliegt, ist dein Leben wie ein offenes Buch. Ach, ups, du schaffst es ja nicht, mehr als zweimal im Leben nach Hause zu kommen, weil dein Leben ja nur aus Arbeit besteht.«
Damit hatte sie ihn.
»Und Joe«, fuhr sie fort. »Die ganzen Jahre über dachte ich immer, er wäre nur ein Gärtner – jetzt stellt sich heraus, dass er ein Mann von Topformat ist. Jedes Mal, wenn ich mich nur umdrehe, hat er ein neues Geheimnis.«
»Das betrifft nur die Kriegszeit«, wandte Tom ein. »Es gibt jede Menge Männer, die aus Europa zurückgekehrt sind und kein einziges Wort darüber verloren haben. Das ist auch gar nicht mal so schwer nachzuvollziehen.«
»Und was ist mit seinem Privatleben?«
»Welches Privatleben?«, fragte Tom.
»Siehst du?«, konterte sie triumphierend und grinste ihn an.
Darauf sagte er nichts mehr, sondern schaute nur auf sie herunter. Sie standen immer noch viel, viel zu nah beieinander. Kelly spürte, wie ihr das Lächeln aus dem Gesicht wich. Küss mich …
Von dort aus, wo sie stand, konnte sie das Schild der Bank sehen. Vor knapp siebzehn Jahren war Tom auf deren dunklen Parkplatz eingebogen, hatte den Wagen angehalten, sie an sich gezogen und geküsst.
Genau hier.
Nur einen Steinwurf von der Stelle entfernt, an der sie jetzt standen.
Es war zweifellos die heißeste und eindrücklichste sexuelle Erfahrung ihres Lebens gewesen. Und dabei hatte sie ihre Kleidung die ganze Zeit über anbehalten.
Für ihn dagegen stellte es etwas dar, für das man sich entschuldigen musste.
Er verlagerte das Gewicht etwas nach hinten und schaffte so mehr Abstand zwischen ihnen beiden. Selbst so viele Jahre später wich er immer noch vor ihr zurück.
»Warum hat Joe nie geheiratet?«, wollte sie wissen. Warum hast du nie geheiratet? , war die Frage, die sie eigentlich stellen wollte, auch wenn sie die Antwort bereits kannte. Er war nicht der Typ Mann, der bereitwillig irgendwo sesshaft wurde. Gut so,
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