Toedlicher Hinterhalt
erinnerte sie sich selbst. Wenn sie ein Streichholz anzünden und damit ihre Leidenschaft füreinander entfachen könnte , würde keiner von ihnen beiden verletzt werden.
Sie deutete auf die Kopien, die Tom noch immer in den Händen hielt, und zeigte auf das Foto von Joe. »Sieh ihn dir an. Er sah zum Anbeißen aus«, begann sie. »Und als ob das nicht schon reichen würde, ist er auch noch einer der nettesten Typen überhaupt – und obendrein noch ein Kriegsheld, nach dessen Vorlage eine Statue angefertigt worden ist. Entschuldige mal bitte, aber die Frauen in der Stadt müssen doch Schlange gestanden haben, um mit ihm auszugehen.«
»Weißt du, ich habe Joe einmal danach gefragt«, erzählte Tom ihr. »Ich wollte wissen, warum er nicht meine Großmutter geheiratet hat – die Witwe seines Bruders. Sie war ein paar Jahre nach Joe ebenfalls nach Baldwin’s Bridge gezogen. Er hat ihr nach dem Krieg eine Anstellung als Köchin im Haus deines Vaters besorgt. Es war offensichtlich, dass er sie mochte. Ich habe Fotos von ihr gesehen – sie sah einfach umwerfend aus. Sie muss meinen Großvater mit siebzehn geheiratet haben. Dann stand sie da, eine Kriegswitwe im reifen Alter von dreiundzwanzig Jahren mit einem fünfjährigen Sohn im Schlepptau – meinem Vater. Joe hat ihr geholfen, ein Haus in der Stadt anzumieten und sich hier einzuleben, mehr ist da aber auch nicht gelaufen. Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, hat sie schließlich den Postboten geheiratet. Ich habe das damals nicht verstanden und Joe gefragt, warum er sie nicht geheiratet hat. Aber er meinte bloß, er liebe Oma wie eine Schwester und sei froh darüber, dass sie wieder heirate – froh, dass sie jemanden gefunden habe, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen würde, und dass sie nicht länger allein sei.« Tom sah hoch zu der Statue. »Also wollte ich wissen, warum er nie geheiratet, sich niemanden gesucht hat, damit er nicht mehr allein zu sein brauchte.«
Bei der Erinnerung daran lachte er leise auf. »Ich war erst sechs und hatte keine Ahnung, dass ich damit eine Grenze überschritt.«
»Was hat er geantwortet«, fragte Kelly fasziniert.
»Er sagte mir, er sei nicht verheiratet, weil er seine einzige wahre Liebe im Krieg getroffen und verloren habe. Daran, wie er es erzählte, erinnere ich mich noch, als wäre es erst gestern gewesen. Seine einzige wahre Liebe …« Tom schwieg für einen Moment. »Er meinte, nachdem er sie getroffen habe, hätte es keinen Sinn mehr gehabt, weiterzusuchen. Niemand könne je an sie herankommen. Und Joe sagte außerdem, er wäre nicht der Typ Mann, der bereit sei, sesshaft zu werden. Er bleibe lieber allein.«
Nun starrte auch Kelly hoch zu dem grimmigen Gesicht der Statue. »Verloren«, flüsterte sie. »Ist sie …« Sie schaute zu Tom. »Meinte er damit, dass sie gestorben ist?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Tom. »Mit verloren könnte alles Mögliche gemeint sein, oder? Vielleicht hat sie auch einen anderen geheiratet.« Er blickte hinunter auf die Kopien, als wäre er plötzlich überrascht darüber, sie in den Händen zu halten. Dann trat er auf Kelly zu und hielt sie ihr hin.
Sie seufzte ungläubig, als sie ihm die Blätter abnahm und wieder in ihrer Tasche verstaute. »Mein Gott, das alles klingt so … ich weiß auch nicht … so romantisch.« Dabei war ihr Joe immer so pragmatisch und bodenständig vorgekommen. Sie kannte ihn nur als Gärtner, als Handwerker. Die Vorstellung, dass er sich all die Jahre nach einer Frau gesehnt und sich deshalb geweigert hatte, eine andere zu heiraten. Wer hätte das gedacht?
»Glaubst du, es stimmt?«, fragte sie Tom. »Dass wir alle nur eine Chance auf die große Liebe haben? Meinst du, es gibt überhaupt so etwas wie wahre Liebe?«
Er schüttelte den Kopf. »Da fragst du den falschen Kerl. Was dieses Thema angeht, bin ich nicht gerade ein Experte. Mit der Liebe, ähm, hab ich nicht wirklich was am Hut, weißt du? Das passt nicht … zu der Arbeit, die ich mache.«
»Aber du wirst doch eine Meinung dazu haben?«, blieb sie hartnäckig. »Jeder hat doch so seine Vorstellungen und Ansichten, was Liebe ist und was nicht. Deine begründen wahrscheinlich deine Entschlossenheit, keine festen Beziehungen einzugehen.«
»Na, danke, Dr. Freud«, antwortete er belustigt. »Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass ich vielleicht keine feste Beziehung führe, weil mir bewusst ist, dass das bei meinem, sagen wir mal, rastlosen Temperament in Kombination mit
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