Toedlicher Irrtum
Liebhaber getroffen hat. Jedenfalls«, fuhr der Techniker fort, »habe ich mir diese Bänder angesehen. Anfang und Ende, um genau zu sein.«
Grissom nickte. »Die Stellen, die möglicherweise nicht überspielt worden sind.«
»Richtig. Die Chance war winzig, aber ich glaube, ich habe etwas gefunden.«
»Manchmal spuckt der Heuhaufen die Nadel auch wieder aus.«
Archie nickte. »Das könnte so ein Heuhaufen sein. Ich weiß, es ist drei Monate her, und es geht nur um fünf Sekunden einer Aufnahme, die vielleicht nicht vom richtigen Tag stammt … aber sie könnte wichtig sein.«
»Zeigen Sie sie mir«, sagte Grissom und konzentrierte sich auf den Bildschirm.
Archie drückte die PLAY-Taste, und Grissom sah einen Mann hereinkommen, der sich von der Kamera entfernte, dann für einen Moment eine korpulente Frau in einem geblümten Kleid, die an der Kasse stand, und schließlich nur noch den leeren Laden.
Stirnrunzelnd musterte Archie den Monitor. »Haben Sie es gesehen?«
Grissom schüttelte den Kopf. »Was gesehen?«
»Ich lasse es noch einmal laufen und halte das Band an der richtigen Stelle an.«
Und das tat er. Das Band lief etwa eine Sekunde lang, ehe er es stoppte. Grissom sah den Eingangsbereich des Ladens und einen Mann in T-Shirt und Jeans, der den Kopf gesenkt hielt. Sein Haar verbarg sich unter einer Baseballkappe.
»Was soll ich sehen?«, fragte Grissom. »Falls das der Mann ist, dann kann ich nicht viel erkennen.«
»Nein«, sagte Archie geduldig. »Sehen Sie sich das Fenster an.«
Grissom folgte den Anweisungen des Labortechnikers. Zuerst sah er nichts, aber als er aufhörte, es mit Gewalt zu versuchen, offenbarte sich das Bild vor seinen Augen.
Dort, im Fenster, war das Spiegelbild einer Person zu erkennen, die sich außerhalb des Aufnahmewinkels aufhielt: eine junge Frau mit kastanienbraunem Haar und einem Las-Vegas-Stars -T-Shirt …
… Kathy Dean.
Er konnte sie so deutlich sehen, dass ihm sogar die herunterhängenden Kabel der Ohrhörer ihres iPods auffielen.
»Ich sehe sie, Archie. Ist sie irgendwann direkt im Bild?«
»Kaum. Ich schätze, die wussten beide, dass da eine Kamera ist, und sie wollten ihr aus dem Weg gehen. Warum, weiß ich nicht. Immerhin wollten sie den Laden ja nicht ausrauben.«
»Trotzdem gehen sie kein Risiko ein«, sagte Grissom. »Das Mädchen ist paranoid. Sie hat Angst vor ihren überfürsorglichen Eltern. Wer immer sich unter dieser Kappe versteckt, könnte bereits wissen, dass er kurz davor ist, einen Mord zu begehen.«
»Romantische Nächte in Las Vegas«, grunzte Archie.
»Guter Fang, Archie. Lassen Sie es bitte weiterlaufen.«
Der Labortechniker tat es.
Den Blick auf das Fenster gerichtet, sah Grissom zu, wie Kathy ihre Baseballkappenverabredung umarmte, kehrtmachte und verschwand.
»Das Gesicht bekommen wir überhaupt nicht zu sehen?«, fragte Grissom frustriert.
»Eine Sekunde muss man genauer hinsehen«, sagte Archie, spulte zurück und ließ das Band bis kurz vor die Stelle laufen, an der der Mann die Tür öffnet, um zu gehen. »Sehen Sie sich die Glastür an.«
Zuerst konnte Grissom außer Schatten nichts erkennen. Dann ließ Archie das Band in Einzelbildschaltung weiterlaufen, sodass Grissom das Geschehen in Ruhe verfolgen konnte, und plötzlich tauchte ein Gesicht in der Scheibe auf.
Obwohl die Kappe das Haar des Mannes verdeckte und der Bursche sich alle Mühe gab, sein Gesicht zu verbergen, konnte Grissom ihn für eine starre Sekunde klar und deutlich erkennen.
Das war endlich der Beweis, den er so dringend brauchte.
»Na, wie habe ich das gemacht, Grissom?«
»Archie, das ist ein Gut mit Ausrufezeichen.«
Der Labortechniker grinste, als plötzlich Grissoms Mobiltelefon klingelte.
»Grissom.«
»Ich bin’s«, sagte Sara. »Ich habe mit Janie Glover gesprochen. Sie sagt, FB bedeutet Funeral Boy. Du wirst nie darauf kommen, wer das ist!«
»Jimmy Doyle?«
»Verdammt, Grissom!« Saras Ärger klang durch das Telefon. »Vor hundert Jahren hätte man dich auf dem Scheiterhaufen verbrannt!«
Grissom grinste zufrieden. »Danke.«
Wenn Grissom ein Problem damit hatte, in Black einen Verdächtigen zu sehen, dann hatte Brass auch eins. Er hatte Vertrauen zu den Instinkten des Kriminalisten, auch wenn Grissom selbst stets behauptete, dass Dinge wie Ahnungen oder Mutmaßungen seiner Natur zuwiderliefen. Der Detective beschloss, dass er im Moment nichts Besseres tun konnte, als den Bestatter noch einmal zu befragen.
Black, nun in den
Weitere Kostenlose Bücher