Toedlicher Irrtum
Klage wegen eines Kunstfehlers einzureichen.«
Catherine blinzelte verwundert. »Doktor Whiting? Davon hören wir zum ersten Mal.«
»Tja, aber es stimmt.«
Vega versuchte immer noch, geistig zu erfassen, was er soeben gehört hatte. »Doktor Whiting aus dem Sunny Day?«
»Genau der.«
Catherine beugte sich vor. »Warum war Vivian bei ihm in Behandlung, wenn sie gleichzeitig überlegt hat, ihn wegen eines Kunstfehlers zu belangen?«
Ein Lachen ging der Antwort der Anwältin voran. »Sie dachte, dass alle anderen Ärzte im Sunny Day deutlich schlimmer wären als Doktor Whiting!«
»Sie hätte sich doch in eine andere Pflegeeinrichtung verlegen lassen können«, wandte Catherine ein. »Das Sunny Day ist schließlich nicht die einzige Einrichtung dieser Art in Vegas.«
»Sie war eine alte Frau«, entgegnete die Anwältin sachlich. »Sie hat an ihren Gewohnheiten festgehalten und nicht auf mich gehört.«
»Sie wollen aber nicht sagen, dass sie senil war oder Alzheimer hatte …«
»Oh, nein, ganz und gar nicht.« Die Anwältin seufzte. »Aber Vivian konnte furchtbar stur sein. Starrköpfig trifft es besser. Sie mochte die Leute im Sunny Day, die Schwestern, die anderen Bewohner, diesen Tratschclub. In ihren Augen waren das ihre Freunde. Sie mochte sogar Doktor Whiting. Sie war nur der Ansicht, dass er und die anderen Ärzte im Sunny Day, um es mit ihren Worten zu sagen, ›überbewertete Quacksalber‹ sind.«
»Bei Patienten, die einen langen Krankenhausaufenthalt über sich ergehen lassen, ist es nicht unüblich, dass sie sich von den Ärzten enttäuscht fühlen.«
»Von mir hören Sie keinen Widerspruch, aber Sie hätten mal versuchen sollen, das Vivian zu erzählen.«
Catherine fiel keine Möglichkeit ein, die nächste Frage taktvoll zu verpacken. »Tut mir Leid, dass ich das fragen muss, und die Frage ist auch absolut inoffiziell, aber war Vivian prozesssüchtig?«
Die Anwältin lehnte sich zurück, möglicherweise musste sie überlegen, ob sie gekränkt sein sollte oder nicht. »Das denke ich nicht, sonst hätte ich ihren Fall nicht übernommen. Sie hatte nach ihrem Unfall Rückenschmerzen, und der Rücken ist ein sehr sensibler Bereich. Sie hat gesagt, Whiting hätte ihre Schmerzen und ihr Leiden noch schlimmer gemacht, weil er ihr nicht zugehört habe, als sie ihm von ihrem Zustand berichtete.«
»Wusste er, dass sie Klage einreichen wollte?«
»Natürlich«, sagte Pauline. »Er war überzeugt, alles für sie getan zu haben. Sie sind ein paarmal aneinander geraten.«
Catherine fragte sich, warum Whiting dieses Detail nicht für erwähnenswert gehalten hatte. Wollte er etwas verheimlichen, oder hatte er lediglich versäumt, davon zu erzählen?
»Also schön«, sagte Vega. »Weiter im Text. Hat sie ein Testament gemacht?«
Die Anwältin machte einen leicht erschrockenen Eindruck. »Denken Sie, man hätte Vivian ihres Geldes wegen umgebracht?«
Vega zuckte mit den Schultern. »Wir können nichts ausschließen.«
Ein ärgerliches Funkeln vertrieb die Traurigkeit aus den Augen der Anwältin, zumindest für den Augenblick. »Sie war in einer Ganztagspflegestelle untergebracht. Dort hätte sie sicher aufgehoben sein müssen. Was zum Teufel ist passiert?«
»Sie wurde ermordet«, sagte Vega.
»Das sagten Sie schon, Sam. Wie?«
Catherine lieferte ihr die Fakten. »Jemand hat ihr eine Spritze mit Luft verabreicht und so …«
»Eine Embolie ausgelöst.« Der kontrollierte Zorn der Anwältin schlug sich in ihrem Atem nieder. »Ja, ich verstehe, dass sich jemand eingebildet haben könnte, er könne damit durchkommen. Und Sie denken, Doktor Whiting hat sie umgebracht?«
»Bitte!«, sagte Catherine und hob mahnend eine Hand. »Wir haben den Mörder noch nicht gefunden. Bisher konnten wir nicht einmal das Motiv ermitteln.«
Die Theorie, sie könnten es mit einem Serienmörder zu tun haben, vertrauten sie der Anwältin besser nicht an.
»Aber das potenzielle Motiv, das Sie in Erwägung ziehen, könnte Geld sein?«, fragte die Anwältin.
Catherine zuckte mit den Schultern. »Wenn Menschen ermordet werden, dann gibt es, vorausgesetzt, der Mörder ist nicht geisteskrank, vier Hauptmotive: Geld, Liebe, Sex oder Drogen. Passt davon etwas zu Vivian?«
»Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen«, sagte Pauline Dearden. Dann bückte sie sich, um eine Aktenmappe aus der rechten unteren Schublade ihres Schreibtischs zu nehmen. Rasch überflog sie die Papiere. »Vivian hat ein Testament gemacht und vor kurzem
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