Tödlicher Mittsommer
die fast sechs Stunden im Wasser gelegen hatten.
Als sie zurückkamen, saß Adam stolz wie ein junger Hahn mitten im Boot, umgeben von Barschnetzen voller Tang und Seegras, und strahlte übers ganze Gesicht.
»Schau mal, Mama, hast du jemals so viele Fische gesehen?«
Nachdem sie bis zur Erschöpfung Fische ausgenommen hatten, war immer noch eine große Wanne mit Barschen übrig. Sie mussten sie in den »Sumpf« schütten, einen Fischkäfig, der zwischen die Pfahlkonstruktion des Stegs gebaut worden war. Er wurde durch eine Luke im Steg befüllt und diente als Aquarium, in dem die Fische noch einige Tage nach dem Fang weiterleben konnten. Eine sehr praktische Einrichtung, die schon so lange da war, wie Nora zurückdenken konnte.
Die in der Glut gebackenen Barsche mit neuen Kartoffeln und in Butter gebratenen Pfifferlingen waren ein richtig leckeres Sommerabendessen. Nora hatte den Tisch im Garten gedeckt, sodass sie das schöne Wetter genießen konnten.
Henrik wollte wegen der bevorstehenden Segeltour keinen Alkohol trinken, aber Nora hatte sich ein Glas goldgelben Chardonnay eingeschenkt. Zum Nachtisch gab es Erdbeeren.
Jetzt tranken sie jeder ihre Tasse Kaffee, bevor es Zeit für Henrik wurde aufzubrechen. Es würde noch einige Stunden dauern, bis die Sonne unterging. Die Flaggen, die den ganzen Tag in der frischen Brise fast waagerecht gestanden hatten, hingen schlaff herab. Die Hummeln summten.
Die Jungen waren für eine Weile zu Oma und Opa hinübergelaufen. Sie waren allein.
Es war an der Zeit, mit Henrik zu reden.
Nora wandte sich zu ihm um.
»Ich muss dir etwas erzählen. Ich hoffe, dass du dich freust, denn es ist was ganz Tolles, wie ich finde.«
Sie streckte den Arm aus und drückte seine rechte Hand.
Henrik trank einen Schluck Kaffee und sah sie neugierig an.
»Das klingt ja spannend. Also los, ich höre zu.«
Nora beschloss, das ungute Gefühl zu ignorieren, das ihr das Herz einengte, und gab sich Mühe, so positiv wie möglich zu klingen.
»Als ich gestern in der Stadt war, habe ich mich mit dem Personalvermittler getroffen, von dem ich dir erzählt hatte. Es war ein sehr gutes Gespräch. Der Job scheint wahnsinnig interessant zu sein. Genau die Herausforderung, die ich mir gewünscht habe. Und ich wäre endlich meinen unmöglichen Chef los. Nie wieder Ragnar.«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, und dann beschrieb sie das Gespräch vom Vortag und die Fragen, die aufgetaucht waren. Dabei gestikulierte sie enthusiastisch mit beiden Händen. Ohne es zu wollen, wurde sie immer eifriger, die Worte kamen schneller und schneller.
Bis sie merkte, dass sie keine Reaktion erhielt.
Henrik sagte kein Wort.
Als Nora geendet hatte, herrschte bedrückende Stille. Sie breitete sich im ganzen Garten aus, während die Minuten verstrichen.
Schließlich öffnete Henrik den Mund.
»Das heißt, du bist in die Stadt gefahren und hast dich hinter meinem Rücken mit ihm getroffen?«
Nora erstarrte. Henriks Stimme war eiskalt, und er sah sie an, ohne eine Miene zu verziehen. Mit ganz geradem Rücken saß er auf der Bank und sah sie an, als wäre sie eine Fremde.
»Ich wollte mich erst mal in aller Ruhe mit ihm unterhalten«, sagte Nora langsam. »Um zu sehen, ob es überhaupt einen Sinn hat, das Thema noch einmal mit dir zu besprechen.«
»Hinter meinem Rücken?«
Die Worte kamen wie Peitschenschläge.
»Nun mach doch nicht so ein Drama daraus. Ich wollte einfach mit Rutger Sandelin sprechen, bevor ich dir davon erzähle. Was ist denn daran so schlimm?«, sagte Nora gepresst.
In ihrem Hals wuchs ein dicker Kloß.
Das war nicht Henrik, ihr Ehemann, der ihr am Tisch gegenüber saß. Das hier war ein Fremder. Ein Fremder mit stechenden Augen und verächtlichem Blick.
»Das machst du nicht mit mir«, sagte er grob. »Wenn du dir einbildest, du kannst mit deiner Familie umspringen, wie es dir passt, nur weil du Karriere machen willst, dann hast du dich geschnitten.«
Nora schluckte verzweifelt. Sie spürte ein Ziehen im Magen, und ein Anflug von Angst kroch wie eine Schlange durch ihren Körper bis hinauf in den Hals.
Sie hatte damit gerechnet, dass er von ihrem heimlichen Treffen mit dem Personalvermittler nicht begeistert sein würde, aber sie war davon ausgegangen, trotzdem vernünftig mit ihm über die Sache reden zu können. Wie konnte er es nur auf diese Weise aufnehmen?
»Du kannst mir nicht verbieten, dass ich treffe, wen ich will.«
Die Worte kamen schärfer, als sie es beabsichtigt
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