Tödlicher Mittsommer
Peter heute Abend Dienst hatte. Und dass sein Boot in der Nähe von Sandhamn war. Bei den wenigen Schiffen, über die die Wasserschutzpolizei verfügte, war nicht gesagt, dass sie sofort anrücken konnten.
Aber heute Nacht hatte er Glück.
Das Polizeiboot war bei Korsö, nur wenige Minuten von der Unfallstelle entfernt. Peter übernahm es, den Seenotrettungsdienst zu benachrichtigen, sodass Thomas sich ganz der jetzigen Situation widmen konnte.
Vorsichtig steuerte er den Buster auf die Jugendlichen zu. Drei hysterische Mädchen traten Wasser, während sie versuchten, sich am RIB festzuhalten. Ein Stück weiter riefen einige andere um Hilfe. Thomas drosselte den Motor und legte den Leerlauf ein, sodass sie die unter Schock stehenden, triefnassen Mädchen an Bord ziehen konnten.
»Wie viele wart ihr in dem RIB ?«, fragte er.
»Ich weiß nicht mehr«, schluchzte eines der Mädchen und sank auf die Sitzbank. Die anderen waren kaum ansprechbar.
»Wie viele wart ihr in dem Boot?«, fragte Thomas noch einmal. »Das ist sehr wichtig, du musst versuchen, dich zu erinnen.«
Das Mädchen sah ihn mit glasigem Blick an.
»Ich weiß es nicht. Da waren so viele. Wir wollten nur eine kleine Spritztour machen.«
Mein Gott, dachte er. Das sind ja noch Kinder. Teenager, die sich mit dem Spielzeug der Erwachsenen vergnügen. Die haben keinen blassen Schimmer, wie man mit den starken Motoren dieser Boote umgehen muss.
Henrik beugte sich über die Bordwand, um einen Halbwüchsigen aus dem Wasser zu ziehen. Er bekam seinen Arm zu fassen, aber gerade als der Junge an Bord klettern wollte, drehte sein Freund neben ihm durch.
»Ich zuerst, ich zuerst«, schrie er und krallte sich an den Schultern seines Kumpels fest, während er ihn gleichzeitig unter Wasser drückte.
Thomas wagte nicht, das Steuer loszulassen, aus Angst, das Boot könnte abtreiben.
»Henrik!«, rief er. »Pass auf, der ertränkt seinen Kumpel!«
Henrik beugte sich hinunter und packte den Jungen mit der linken Hand am Hemdkragen. Dann gab er ihm mit der rechten eine Ohrfeige.
»Reiß dich zusammen«, brüllte er ihn an. »Sonst kannst du nach Hause schwimmen. Wir holen euch alle beide raus.«
Der Junge verstummte. Dann ließ er seinen Freund los. Mit aufgerissenen Augen wartete er, bis Henrik ihm an Bord half.
Aus den Augenwinkeln sah Thomas, wie das Polizeiboot näher kam. Er stieß einen erleichterten Seufzer aus. Jede Minute, die verstrich, ohne dass sie Nora fanden, konnte ihr Leben mehr in Gefahr bringen.
Er beobachtete, wie das Polizeiboot unterwegs mehrere Jugendliche aus dem Wasser fischte.
»Sebastian«, schluchzte eines der Mädchen, die im Buster saßen. »Hat jemand Sebastian gesehen?«
»Was sagst du?«, fragte Henrik.
»Sebastian hat das Boot gesteuert. Weil ich ihn dazu gedrängt habe. Wo ist er?«
Henrik sah Thomas an. Er schüttelte den Kopf, und Thomas sah sich um. Er konnte niemanden mehr im Wasser entdecken.
»Sie müssen Sebastian finden. Das ist alles meine Schuld«, weinte das Mädchen.
»Könnte er unter dem Boot sein?«, sagte Henrik leise zu Thomas.
Thomas zögerte nur eine Sekunde. Unmöglich war es nicht. Wenn der Junge es nicht geschafft hatte, wegzuschwimmen, konnte er durchaus unter dem Boot sein, hoffentlich in einer Luftblase.
»Hier, übernimm du das Steuer«, sagte er zu Henrik und machte Platz. Hastig zog er Pullover und Jeans aus und hechtete mit einem Kopfsprung ins Meer. Das Wasser war erstaunlich warm, obwohl es an dieser Stelle mindestens zwanzig Meter tief sein musste. Mit kräftigen Zügen schwamm er zu dem kopfüber treibenden Schlauchboot. Eine Hand an die Gummihaut gelegt, horchte er nach Geräuschen. Nach irgendeinem Laut, der darauf hindeutete, dass sich etwas unter dem Bootsrumpf befand. Dann holte er tief Luft und tauchte.
Unter dem Boot war es stockfinster. Er taste ein paar Sekunden herum, dann musste er wieder auftauchen, um Atem zu holen. Als er zum dritten Mal an die Oberfläche kam, war das Polizeiboot neben ihm. Auf dem Vordeck stand Peter und leuchtete mit einem Scheinwerfer.
»Hast du eine Unterwasserlampe?«, keuchte Thomas.
Peter nickte und rief einem der anderen Polizisten etwas zu. Er legte sich bäuchlings aufs Deck und reichte Thomas eine Handlampe hinunter. Thomas holte erneut tief Luft und tauchte zurück unter das gekenterte Boot.
Im unwirklichen Licht der Handlampe entdeckte er den Jungen,eingeklemmt zwischen Steuer und Fahrersitz. Das Haar an seinem Hinterkopf wiegte sich wie
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