Tödlicher Mittsommer
tief in die Stirn und tat, als würde er schlafen.
Als er endlich das vertraute dreimalige Tuten hörte, das die Abfahrt des Schiffes ankündigte, breitete sich Erleichterung in ihm aus. Plötzlich musste er auf die Toilette rennen und sich übergeben. Ein Schwall Erbrochenes ging an der Kloschüssel vorbei und klatschte auf den Fußboden, aber das kümmerte ihn nicht. Er hatte genug damit zu tun, sich selbst zu säubern.
Den Rest der Fahrt saß er in seiner Ecke und achtete sorgsam darauf, allen Blicken auszuweichen. Er sehnte sich nach einem Snus, traute sich aber nicht, in die Cafeteria zu gehen und sich eine Dose zu kaufen. Ab und zu nickte er ein, aber es war ein unruhiger und oberflächlicher Schlaf, der keine Erholung brachte. Nur eine Erinnerung daran, dass der Körper nichts lieber wollte, als in eine Welt abtauchen, in der die Ereignisse der letzten Tage keine Macht hatten.
Der Kapitän der Cinderella steuerte das Schiff mit routinierter Hand Richtung Stockholm. Hinter dem schmalen Stegesund, wo die alten Kaufmannsvillen mittels enormer Aktiengewinne pompös restauriert worden waren, liefen sie Vaxholm an. Hier ging ein Teil der menschlichen Ladung von Bord. Anschließend umrundete das Schiff den südlichen Teil von Lidingö, mit einem kurzen Halt an der Gåshaga-Landungsbrücke, bevor die vertraute Skyline der Stockholmer Innenstadt ins Bild kam.
Von seinem Platz ganz hinten auf dem Achterdeck sah Jonny zu, wie sie an Djurgården und Nacka vorbeiglitten und schließlich am Strandvägen anlegten.
Er schnappte sich seine Sporttasche und grub in der Hose nach dem Fahrschein, der beim Verlassen des Schiffes vorgezeigt werden musste. Dann stieg er rasch auf den Kai hinunter.
Wohin sollte er jetzt gehen?
[Menü]
Kapitel 22
Die Plakatständer vor dem Kiosk an der Dampfschiffbrücke jagten Nora Schauer über den Körper.
Sexmord auf Sandhamn – nackte Frau tot aufgefunden, stand da in fetten schwarzen Lettern.
Wo die Zeitungen normalerweise titelten, wie man eine schönere Sonnenbräune oder einen flacheren Bikini-Bauch erreichen könne, war an diesem Nachmittag nur Platz für Sensationsmeldungen. Die Boulevardzeitungen übersetzten kurzerhand eine Frauenleiche mit sexueller Gewalt im Sommerparadies, überglücklich, die Sauregurkenzeit mit reißerischen Schlagzeilen füllen zu können. Und ein aufgeweckter Redakteur mit einer Nase für Themen, die sich verkauften, konnte hier aus dem Vollen schöpfen.
Nora überlegte, ob sie darauf verzichten sollte, die Abendzeitungen zu kaufen, aber sie konnte es nicht lassen. Obwohl sie sich schämte, kaufte sie alle beide.
Anschließend ging sie mit den Zeitungen unterm Arm langsam nach Hause und setzte sich im Garten aufs Sofa. Sie zupfte ein paar Blätter von der Spitze des Minzestrauchs, legte sie in ihre Tasse und goss heißes Wasser auf. Sie liebte frischen Pfefferminztee.
Aus Signes Garten klang das Lachen der Jungs herüber. Sie waren Meister darin, bei Signe Traubensaft und selbst gebackene Hefewecken abzustauben, die sie immer anbot, wenn Adam und Simon mit dem Gesichtsausdruck bettelnder Cockerspaniel angerannt kamen. Außerdem backte Signe unnachahmliche Himbeertörtchen, die von den Jungs heiß geliebt wurden, besonders von Adam.
Wie sehr Nora sich auch anstrengte, sie schaffte es nicht, ebenso leckere kleine Kuchen zu backen wie Signe. Vielleicht muss man vor dem Krieg geboren sein, hatte sie das letzte Mal seufzend gedacht, als ihre Versuche keine Gnade vor Adams Augen fanden.
»Es ist nicht so, dass sie nicht gut sind«, hatte er gesagt und sie treuherzig mit seinen blauen Augen angesehen. »Sie sind nur nicht so gut wie die von Tante Signe. Aber ich hab dich trotzdem lieb,Mama.« Und zum Trost hatte sie einen feuchten Schmatz bekommen.
Mit der Tasse in der einen Hand schlug sie die erste Zeitung auf und begann zu lesen. Der Mord nahm eine ganze Doppelseite ein. Auf der einen Seite stand ein Artikel über die arme Putzfrau, die die Leiche gefunden hatte. Sie war sehr eingehend interviewt worden und hatte auf Fragen zu den winzigsten Details antworten müssen.
In lüsternem Ton wurde beschrieben, wie die halb nackte Tote aussah, als sie gefunden wurde, und wie die Putzfrau reagiert hatte. Außerdem zitierte man die Spekulationen der Pensionsleiterin über Kicki Berggrens Leben und warum sie nach Sandhamn gekommen war.
Man hatte ein altes Führerscheinfoto ausgegraben, auf dem Kicki Berggren mit steifem Blick und unmoderner Frisur in die Kamera
Weitere Kostenlose Bücher