Tödlicher Mittsommer
alles seinen Preis.
Da Henrik das Segeln liebte und sich im KSSS – Milieu wohlfühlte, war auch dagegen nicht viel zu sagen. Außerdem konnte sie sich nicht vorstellen, den Sommer irgendwoanders zu verbringen als auf Sandhamn, also worüber beklagte sie sich?
Den Preisverleihungstisch teilten sich Silberpokale in allen Größen mit dichten Reihen von Champagnerflaschen. Ein Promi-Fotograf war auf der Jagd nach bekannten Gesichtern. Da für gewöhnlich Mitglieder des Königshauses an den diversen Segelwettbewerben teilnahmen, standen seine Chancen, einen guten Fang zu machen, nicht schlecht.
Henrik hatte seine Teamkameraden entdeckt und lotste Nora geschickt durch die Menge. Im Vorübergehen schnappte er sich zwei Champagnergläser vom Tablett, ohne seine Schritte zu verlangsamen.
Nora begrüßte Henriks Segelfreunde und ihre Begleiterinnen gut gelaunt. Sie kannte die Frauen von früher, aber sie waren nicht unbedingt ebenso enge Bekannte wie die Männer des Teams. Die meisten von ihnen arbeiteten entweder Teilzeit oder gar nicht. Wenn sie einen Job hatten, war es oftmals eine sogenannte standesgemäße Beschäftigung, wie etwa Kundenberaterin in teuren Einrichtungsboutiquen oder Ähnliches.
Nora, die Mühe hatte, ihren Vollzeitjob als Justiziarin in einer Bank mit ihrer Rolle als Mutter zu vereinbaren, fühlte sich in diesen Kreisen immer wie ein fremder Vogel. Meist überlegte sie ihre Worte genau, bevor sie erwähnte, was sie tagsüber so machte. Falls eine der Frauen beispielsweise berichten würde, was für Mühen es gekostet hatte, eine verwöhnte Kundin zum Kauf eines bestimmten Möbelstoffs zu bewegen, wäre der Kontrast ziemlich groß, wenn Nora davon erzählen würde, wie sie die Verhandlungen über die Vergabe eines Millionenkredits geleitet hatte.
Sie hatte immer das leise Gefühl, dass die anderen insgeheim den Kopf schüttelten über ihren Ehrgeiz, selbst Karriere zu machen.
Nora und Henrik nahmen ihre Plätze am Tisch ein. Nora merkte, wie hungrig sie war. Sie vertilgte den ihrer Meinung nach viel zu kleinen Felchenrogentoast mit wenigen Bissen, während sie eine Unterhaltung mit Johan Wrede begann, ihrem Tischherrn.
Johan und Henrik hatten zusammen Medizin studiert, und ihre Familien waren seit Urzeiten miteinander befreundet. Auf der Hochzeitsfeier von Nora und Henrik hatte Johan eine ebenso lange wie langweilige Tischrede gehalten, in der er alle möglichen Segelzwischenfälle zum Besten gab, die er und Henrik zusammen erlebt hatten und die niemanden interessierten.
»Wie geht’s den Kindern?«, fragte Johan, während er sein Glas erhob, um Nora zuzutrinken.
»Danke, gut«, erwiderte Nora und nickte höflich als Antwort auf den Toast ihres Tischherrn. »Sie lieben es, den Sommer auf Sandhamn zu verbringen.«
»Haben sie viele Freunde hier?«, fuhr John fort, der etwas jüngere Kinder hatte, ein dreijähriges Mädchen und einen kleinen Sohn von neun Monaten.
»Jede Menge. Die Insel wimmelt von Kindern. Hier besteht absolut kein Mangel an Spielkameraden.«
»Es sieht so aus, als wären eine ganze Reihe neuer Familien für den Sommer auf die Insel gekommen. In der letzten Zeit standen wohl viele Häuser zum Verkauf?«
Nora konnte nicht anders als zustimmen.
Die kräftigen Preissteigerungen und niedrigen Zinsen im vergangenen Jahr hatten zu Fantasiepreisen für attraktive Objekte mit Seeblick geführt. Leider bedeutete das auch, dass viele Erben es sich nicht mehr leisten konnten, die Geschwister auszuzahlen, und damit wuchs die Zahl der Häuser, um die sich vorausschauende Spekulanten schlagen konnten.
Oft waren die Käufer finanzkräftige Auslandsschweden, die jedes Jahr nur ein paar Sommerwochen auf der Insel verbrachten. Den Rest des Jahres standen die Häuser leer und trugen dazu bei, dass die kleine Ortschaft im Winter noch verlassener wirkte.
»Das stimmt. Mehrere der alten Häuser, die Generationen hindurch in Familienbesitz waren, sind in der letzten Zeit verkauft worden. Das ist ziemlich traurig«, sagte Nora.
Johan musterte sie neugierig.
»Gab es da nicht ein Haus, das letztes Jahr für sechs oder sieben Millionen den Besitzer gewechselt hat?« Er pfiff beeindruckt. »Für ein Sommerhaus!«
Nora zog eine Grimasse und nickte.
»Ja. Und ein anderes mitten im Ort ist für fast ebenso viel weggegangen. Verrückt, wenn man sich das mal überlegt.«
Sie spießte ein Stück Rinderfilet auf die Gabel und fuhr fort:
»Das ist eine gefährliche Entwicklung. Bald kann sich kein
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