Tödlicher Mittsommer
Saunatemperaturen.
Die Luft war warm und weich. Vor dem dunkelblauen Himmel zeichneten sich die Silhouetten Hunderter Menschen ab. Irgendein vergesslicher Segler hatte immer noch die Flagge gehisst, trotz der alten Sitte, sie im Sommer um Punkt einundzwanzig Uhr einzuholen. In vielen der Boote saßen die Skipper an Deck und genossen den milden Abend.
Drüben, hinter den Becken der Schwimmschule, konnte man Motorboote sehen, deren Besitzer sich versammelt hatten, um den Samstagabend zu feiern, ungeachtet der dramatischen Ereignisse in den letzten Wochen.
An der Viamarebrücke lagen die größten Motoryachten, Storebro und Princess , Seite an Seite. Die Grenze zwischen Boot und schwimmendem Sommerhaus war haarscharf. Einige der Schiffe waren so riesig, dass sie nur in Sandhamn und Högböte anlegen konnten, dem Heimathafen des Königlichen Motorbootclubs KMK . Woanders passten sie nicht rein.
Einmal hatte Nora einen von Henriks Segelfreunden gefragt, was die riesige Storebro , die gerade im Hafen lag, wohl kosten mochte. Er hatte ihr einen ironischen Blick zugeworfen und gesagt: »Frag nicht, wie hoch der Kaufpreis ist, frag lieber, was es kostet, sie vollzutanken!«
Da hatte sie nicht weiter gefragt.
Henrik weckte Nora aus ihren Gedanken.
»Hast du dich beim Essen gut unterhalten?«
Er legte ihr den Arm um die Schultern, als sie in der Abendbrise fröstelte.
»Es war nett. Mit Johan kann man ja gut plaudern, auch wenn er während des ganzen Hauptgangs nur von den Eigenschaften eures neuen Großsegels geschwärmt hat.« Nora sah ihn lächelnd an. »Aber es ist schön, zur Abwechslung mal wieder einen festlichen Abend zusammen mit dir zu verbringen. Danach habe ich mich gesehnt.«
Sie schmiegte sich enger an ihn und strich mit der Hand über seine Wange.
»Hast du noch mal darüber nachgedacht, ob wir nicht doch nach Malmö umziehen könnten? Das klingt doch alles sehr spannend, findet du nicht? Es wäre eine unglaubliche Chance für mich.«
Ihr wurde ganz heiß vor Stolz, dass man sie gefragt hatte. Sie lächelte, den Blick fest auf ihren Mann gerichtet.
Henrik sah sie verwundert an.
»Ich dachte, mit der Diskussion wären wir durch. Wir können doch nicht mit der ganzen Familie plötzlich nach Malmö ziehen, nur weil irgendwer dir dort einen Job anbietet.«
Nora starrte ihn ungläubig an.
»Wie meinst du das? Warum sollten wir nicht nach Malmö umziehen können, wenn mir dort ein Job angeboten wird?«
»Ich kann nicht umziehen, und ich will es auch nicht. Ich fühle mich im Krankenhaus Danderyd sehr wohl. Ich habe wirklich keine Lust, woanders noch mal neu anfangen zu müssen.«
Er wandte sich ab und winkte einem Bekannten zu, der vorbeiging.
»Wollen wir wieder reingehen? Die anderen wundern sich bestimmt schon, wo wir bleiben.«
Nora war völlig verwirrt.
Dann schüttelte sie wütend seinen Arm ab. Die gute Stimmung war wie weggeblasen, auf einmal kamen ihr das Fest und die lachenden und tanzenden Menschen dadrinnen sehr weit entfernt vor.
»Wie kannst du sagen, dass wir mit der Diskussion fertig sind? Wir haben doch kaum angefangen, darüber zu reden.«
Aufgebracht strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fuhr fort:
»Hast du überhaupt verstanden, was ich versucht habe, dir zu erzählen?«, fragte sie und registrierte verwundert, dass ihre Stimme bebte. »Ich dachte, wir leben in einer modernen Beziehung, einer sogenannten gleichberechtigten Ehe, in der die Berufe beider Partner wichtig sind, nicht nur deiner.«
»Jetzt reg dich mal wieder ab«, sagte Henrik. »So wild ist es ja wohl nicht. Ich habe nur gesagt, dass du etwas realistischer sein solltest, was unsere Situation angeht. Schließlich bin ich derjenige, der das meiste Geld nach Hause bringt. Unsere ganzen Verwandten und Freunde leben in Stockholm. Außerdem liegt mein Segelboot hier.«
Er trat einen Schritt zurück und musterte sie.
»Du brauchst nicht gleich so melodramatisch zu werden, nur weil ich mal nicht deiner Meinung bin.«
Henrik klang genau wie der Klinikarzt, der er war. Seine Stimme war kühl und distanziert, und er sah sie an, als wäre sie ein kleines Kind.
»Ich bin nicht melodramatisch.«
Nora binzelte eine Träne weg, die sich vorgedrängt hatte, und wurde noch ärgerlicher, weil sie angefangen hatte zu weinen. Die Ungerechtigkeit schnürte ihr den Hals zu.
Sie schluckte verzweifelt, zum einen, weil sie einen Kloß im Hals hatte, und zum anderen, um die Tränen am Überlaufen zu
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