Tödlicher Mittsommer
den Ort prägte.
Thomas bekam Sand in die Schuhe, das ließ sich gar nicht vermeiden.
Man merkte, dass es auf Ende Juli zuging. Der Flieder war lange verblüht, stattdessen leuchteten überall dunkelgelbe Sonnenblumen und dicke Rispen roter Johannisbeeren. Hier und dort ragten verdorrte Grasbüschel aus dem Sand und zeugten von dem tapferen Versuch, an einem Platz Wurzeln zu schlagen, der nicht dafür geeignet war. In einzelnen Gärten konnte man schüchterne Ansätze von Rasen erkennen, aber überwiegend begnügte man sich mit Blumenbeeten, umgeben vom ewigen Sand.
Das Haus von Philip Fahlén stand an einer Stelle, wo die Landzunge so schmal war, dass man von einem Ende zum anderen blicken konnte.
Sogar bis zu dem Strand, an dem der arme Krister Berggren erst wenige Wochen zuvor angespült worden war.
Sie waren nur zehn Minuten Fußweg vom Hafen mit all seinen Booten und Touristen entfernt, aber auf dieser Seite der Insel herrschte friedvolle Stille. Vögel zwitscherten in den Bäumen, und durch die Kronen der Kiefern sickerte das Sonnenlicht. Die Blaubeeren begannen zu reifen, das ganze Blaubeergestrüpp saß voller kleiner Früchte.
Fahléns Haus war schön gelegen, auf einer Klippe nur wenige Meter von einem breiten Landungssteg entfernt, der weit bis ins Wasser hinausragte. Am Steg lag ein imposanter Kabinenkreuzer der Marke Bayliner vertäut. Ein großer hölzerner Badebottich stand am Strand, mit perfekter Aussicht aufs Meer. Ein Bootshaus mit zwei kleinen Fenstern schützte vor Einblicken von der anderen Seite. Durch eines der quadratischen Fenster konnte Thomas mehrere Fischernetze erkennen, die an Haken aufgehängt waren.
Die Flagge war gehisst, ein sicheres Zeichen, das der Hausbesitzer sich auf der Insel befand.
Margit blieb vor dem Haus stehen, so als traute sie ihren Augen nicht. Thomas, der auf den Anblick vorbereitet war, grinste breit.
Das Haus war quietschgrün. Buchstäblich quietschgrün.
Mitten in der Schärengartenidylle, in der so gut wie jedes Haus ochsenblutrot war, hatte man sich entschieden, das ganze Haus grün zu streichen. Abgesehen von den weißen Eckbalken leuchtete es von oben bis unten in der aufdringlichen Farbe. Wären nicht die weiße Treppe und die weißen Eckbalken gewesen, hätte man glauben können, man stünde vor einer riesigen Marzipantorte. Fehlte nur noch die Zuckerrose obendrauf.
Margit sah Thomas an, der nur resigniert den Kopf schüttelte.
»Jeder nach seiner Fasson. Das hier hat schon immer so ausgesehen, solange ich zurückdenken kann.«
»Aber wie kommt man bloß auf eine solche Idee? In dieser Umgebung?«, rief Margit verblüfft aus, während sie die Erscheinung auf sich wirken ließ.
»Vielleicht finden sie es schick. Oder sie sind schlicht farbenblind«, erwiderte Thomas.
»Gibt es in der Gemeinde Värmdo denn keine Bauaufsicht, die ein Wörtchen mitzureden hat? So was wie das hier kann doch wohl nicht erlaubt sein?«
Thomas zuckte mit den Schultern.
»Sie haben es sicher versucht. Oder sie haben es aufgegeben, sich einzumischen. Die Leute hier draußen kommen mit ziemlich vielem durch. Du würdest nicht für möglich halten, wie viele Häuser unter grober Missachtung der geltenden Bauvorschriften gebaut worden sind.«
Margit streckte einen Finger aus und berührte die Hauswand, so als sei sie nicht sicher, ob die Farbe echt war oder ob sie bei Berührung abfärbte.
»Großer Gott. So was hab ich ja noch nie gesehen.«
An der Haustür hing ein Schild mit der Aufschrift »Willkommen«. Barmherzigerweise war das Schild in so traditionellen Farben wie Blau und Weiß gehalten.
Ein Fenster stand einen Spalt offen, aber niemand antwortete, als sie klopften. Sie gingen ums Haus und stellten fest, dass die Terrassentür verschlossen war. Weit und breit war niemand zu sehen oder zu hören.
Eine riesige Holzterrasse nahm die ganze Hauswand ein. Sie wurde dominiert von einem mächtigen Esstisch aus Teakholz und einem ungewöhnlich großen Gasgrill auf Rädern. Ein Stück weiter standen mehrere Liegestühle mit gestreiften Bezügen. Durch die breiten Panoramafenster sah man eine großzügige Sofagruppe, einen Esstisch mit Stühlen und an der Wand einen Plasmafernseher. In jeder Zimmerecke standen Lautsprecher von Bang & Olufsen.
»Hier kann man an einem Sommerabend entspannen, kein Zweifel«, konstatierte Margit.
Sie schaute sehnsüchtig zum Badebottich hinüber, an den ein weißer Plastikschlauch angeschlossen war, der bis ins Meer reichte.
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