Tödlicher Puppenzauber
Chaos.
Decken, kleine Puppen, Tücher, Geschirr, Bilder in Silberrahmen, kleine Vasen, Bücher, all diese Dinge waren chaotisch wunderbar verteilt und bewiesen, daß hier jemand lebte.
Dazu paßte auch die stahlblaue Leuchte eines italienischen Designers, die als Kuppel das Auge des Horus darstellte, ein altägyptisches Motiv. Ihr Licht floß sehr weich und indirekt, ohne zu blenden. Im unteren Drittel waren die Birkenholz-Regale geschlossen. Jessica beugte sich vor, faßte nach einem Griff und ließ die Tür um die eigene Achse schwenken, so daß eine kleine Hausbar zum Vorschein kam.
»Toll«, sagte ich.
»Was möchten Sie trinken?«
Ich hob die Hand. »Ich bin Autofahrer.«
Ihre rötlichblonden Augenbrauen, die etwas nachgezeichnet waren, hoben sich erstaunt. »Sie wollen schon gehen?«
»Davon habe ich nichts gesagt, im Moment.«
»Na, ich denke doch, daß wir uns einige Zeit unterhalten können. Sie sind mir diesen Besuch schuldig, John.« In ihren Augen irrlichterte es.
»Oder trägt Ihr Besuch dienstliche Züge?«
Ich hätte es abstreiten können, aber ich wollte die Frau nicht belügen.
»Zum Teil schon.«
»Oh. Noch immer der alte Fall?«
»Wahrscheinlich ein neuer.«
Sie lächelte. »Das verstehe ich nicht. Früher habe ich nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt, jetzt aber…«
»Bitte, ich habe nur einige Fragen. Die Antworten würden mir unter Umständen helfen.«
»Deshalb können Sie trotzdem etwas trinken.«
»Gern.«
»Ich habe auch einen guten Weißwein. Ein herrlich fruchtiger Frasquati aus Italien.«
»Den nehme ich.«
»Abgemacht.« Sie klappte den Schrank wieder zu, wobei die Innenbeleuchtung auch verlosch.
Jessica verschwand in der Küche. Ich hörte sie dort hantieren. Sie kam mit einem bunten Tablett zurück, auf dem eine Karaffe und zwei Gläser standen. Per Fernbedienung stellte sie die Anlage an. Leise Gitarrenmusik drang aus den für mich nicht erkennbaren Lautsprechern und füllte den Raum.
»Ich liebe diese Musik«, sagte sie und schenkte ein. »Sie erinnert mich an den Sommer, an die Abende am Meer, wenn die Sonne als feuerroter Ball in die Fluten tauchte. Spanien und mein Traum.«
»Den können Sie sich doch verwirklichen…«
Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht so recht. Irgendwie komme ich von London nicht los. Ich bin Irin. Hin und wieder fahre ich auf die Insel, um dort zu leben.«
»Wie lange?«
»Im Sommer oft Wochen.« Sie schob mir ein Glas zu, hob ihres an und sagte: »Noch einmal herzlich willkommen, John!«
»Danke.«
Wir prosteten uns zu. Licht fiel gegen mein Glas, schuf Reflexe, hinter denen das Gesicht der Frau ungewöhnlich breit wirkte. Der Wein war gut, er schmeckte fruchtig und besaß genau die richtige Kühle. Jessica saß mir schräg gegenüber. Sie behielt das Glas in der Hand und hatte ein Kissen auf ihre Oberschenkel gelegt. »Ja«, sagte sie, »hier ist also mein Reich.«
Ich zeigte auf den Vorhang. »Bisher habe ich nicht alles gesehen. Wie sieht es dahinter aus?«
Sie lachte. »Nach Arbeit.«
»Sonst nichts?«
»Interpretationen, Szenen, Stilleben, die ich noch fotografieren muß. Ein Freund gibt mir die Chance zu einer kleinen Ausstellung im Frühjahr. Sie sind hiermit herzlich zur Eröffnung eingeladen.«
»Danke, wenn es mein Dienst zuläßt, werde ich gern kommen.«
»Darum bitte ich auch.« Sie nahm noch einen Schluck und stellte das Glas dann zur Seite. »So, Mr. Polizist, bevor es privat wird, könnten wir das Dienstliche erledigen.« Auffordernd schaute sie mich an.
»Leider«, murmelte ich.
»Ach, verstellen Sie sich nicht.«
»Ich meine es wirklich so.« Auch ich feuchtete meinen Mund mit dem Frasquati an. »Wissen Sie, Jessica, mir geht es tatsächlich um Puppen.«
»Haben Sie einen entsprechenden Fall zu bearbeiten?«
»So ist es. Eine Frage vorweg. Können Sie sich vorstellen, daß Puppen leben?« Ich hatte mit einer negativen Antwort gerechnet oder erwartet, ausgelacht zu werden. Zu meinem Erstaunen aber nickte sie und gab mir somit recht.
»Natürlich leben sie. Es sind zwar keine Menschen, aber auch keine toten Gegenstände. Jede handgefertigte Puppe ist ein kleines Kunstwerk. In ihm steckt ein Stück Leben, das der Erbauer ihr mitgegeben hat. So müssen Sie das sehen.«
Ich nickte vor mich hin. »Das kann ich mir vorstellen, aber ich meine es nicht so.«
»Wie dann?«
»Leben heißt für mich Bewegung, ohne daß fremde Hilfsmittel benutzt werden. Also keine Marionettenfäden, keine Stöcke,
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