Tödlicher Ruhm
interessante, starke, spirituelle, wunderbare Menschen. Mir fällt die Aufgabe zu, für uns alle zu sprechen. Wir haben unsere Zeit unter Hausarrest damit verbracht, miteinander umzugehen, zu reden, zu lieben, uns zu umarmen, uns zu ärgern und einander gegenseitig zu inspirieren. Woggle dagegen hat seine Zeit im Haus als unzugänglicher Schmutzfink und Krankheitserreger vergeudet, und es ging einfach überhaupt nicht um ihn.«
Für die Zuschauer allerdings ging es doch um ihn, und an diesem Morgen umso mehr, denn dies war der Morgen, an dem Geraldine ihre Woggle-Politik einer drastischen Kehrtwende unterzog.
Die sensationelle Nachricht wurde während Laylas Pressekonferenz bekannt, und als sie sich im Raum verbreitete, stellte Layla fest, dass das Interesse an ihr und dem, was sie zu sagen hatte, augenblicklich auf den Nullpunkt fiel.
Geraldine hatte handeln müssen, und zwar sofort. Woggle war ein kolossaler Erfolg gewesen, doch inzwischen bestand die Gefahr, dass er sich in einen noch kolossaleren Fehlschlag verwandeln würde. Sollten die anderen Bewohner jetzt gehen, wozu sie alles Recht der Welt hatten, stünde Peeping Tom vor dem Problem, sieben Wochen Fernsehen nicht liefern zu können, zu denen sie dem Sender gegenüber vertraglich verpflichtet waren. Peeping Tom wäre bankrott. Was der Grund war, weshalb Geraldine der Polizei die alten Zeitungsausschnitte mit jenem bewussten Foto geschickt hatte, auf dem zu sehen war, wie Woggle auf das Mädchen eintrat.
Der Zwischenfall hatte sich vier Jahre zuvor ereignet, als Woggle noch ganz anders aussah. Damals war er etwas stämmiger gewesen und hatte einen pinkfarbenen Irokesen getragen, aber wenn man sich die große Nase, die buschigen Augenbrauen und das tätowierte Spinnennetz am Hals des jungen Mannes auf dem Foto näher ansah, konnte es keinen Zweifel daran geben, dass es sich um Woggle handelte. Ehrlich gesagt, hatte sich Geraldine gewundert, dass die Zeitungen das Bild nicht selbst ausgegraben hatten, aber da Woggle damals weder gefasst noch identifiziert worden war, hätte man schon ein gutes Gedächtnis für Gesichter haben müssen. Vier Jahre lag es zurück, dass das Foto auf allen Titelseiten gewesen war: »Wer ist hier das Tier?« hatte damals die Schlagzeile gelautet.
Es war eine Jagd-Sabotage-Aktion gewesen, die aus dem Ruder gelaufen war. Woggle war mit einer Hand voll radikaler Tierschützer in einen Zwinger in Lincolnshire eingedrungen, um die Hunde freizulassen. Der Hundehalter und ein paar Helfer hatten sich ihnen in den Weg gestellt, und so war es zu einer hässlichen Prügelei gekommen. Die Tierschützer hatten zuerst zugeschlagen und versucht, am Hundehalter vorbeizukommen. Als dieser nicht hatte nachgeben wollen, hatten sie ihn mit einer Eisenstange niedergestreckt. Daraufhin war es zu einer allgemeinen Schlägerei gekommen, und Woggle hatte sich mit Stiefeln und Fahrradkette mitten hineingestürzt. Von dieser Seite Woggles ahnten weder die Leute im Haus noch seine Fans unter den Fernsehzuschauern etwas. Es gab einiges an Woggle, das den Mitbewohnern nicht gefiel (eigentlich alles), aber es wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, dass zu seinen Schwächen auch eine gewisse Gewaltbereitschaft zählte.
Was jedoch gelegentlich der Fall war. Allerdings wendeten sie, wie Woggle und seine alten Tierbefreier-Freunde erklärten, »Gewalt nur gegen Menschen« an. Wie die meisten Fanatiker hatte auch Woggle seine dunkle, intolerante Seite, und während ihm das Wohlergehen ahnungsloser Kreaturen — selbst Insekten — ungemein am Herzen lag, kümmerten ihn seine Mitmenschen keinen Deut. Als er also einer Mistgabel schwenkenden Pferdepflegerin gegenüberstand, trat er vor und verpasste ihr einen Schlag. Der Umstand, dass sie erst fünfzehn war und nur halb so viel wog wie er, kümmerte ihn nicht. Ritterlichkeit war kein Thema, wenn man Füchse retten wollte. Ging es nach Woggle, hatte jeder Fuchsmörder oder Verbündete eines solchen sein Recht auf Nachsicht verwirkt. Selbst wenn man noch so klein, blond und süß sein mochte... man war zum Abschuss freigegeben und hatte nichts Besseres verdient. Und dieses Mädchen war klein, blond und süß, sodass es keinen Zweifel daran gab, welches der zahlreichen, grauenvollen Dokumente der Gewalt, die die Bäuerin von ihrem Fenster aus geknipst hatte, in den Augen der Tagespresse die erste Wahl darstellen würde. Es war ein Foto, das für kurze Zeit ein ganzes Land schockierte: das süße blonde Kind mit
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