Tödlicher Schnappschuss
geträumt, sich einmal im Leben einen solchen
Wagen gönnen zu können. Doch als kleiner Kommissar würde
der Traum vom eigenen Porsche wohl immer ein Traum bleiben. Dagegen wirkte
sein alter Vectra wie ein automobiles Relikt aus einer längst
vergangenen Zeit.
Norbert Ulbricht atmete tief
durch, als er aus dem Wagen stieg und mit unverhohlenem Neid zu dem
Porsche blickte, neben dem er seinen Vectra geparkt hatte. Die Luft im
Weserbergland war nicht zu vergleichen mit dem Mief, der seine Lungen in
Wuppertal täglich quälte. Doch ob es das wert war, hier eine Kur
unter strenger medizinischer Aufsicht zu verbringen, wagte er zu
bezweifeln. Er hatte sich in die Hände irgendwelcher Quacksalber
begeben, fühlte sich ihnen ausgeliefert. Ulbricht war ein erwachsener
Mann, und allein die allmorgendliche Frage »Wie geht es uns denn?«
brachte ihn zur Weißglut. Das war Ärztedeutsch und hatte nichts
damit zu tun, wie man einen volljährigen Mann ansprach, der im
Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war. Am liebsten hätte
Ulbricht dem Weißkittel mit einem »Mir geht es gut, ich weiß
natürlich nicht, wie es Ihnen geht« geantwortet. Aber er hatte
es sich abgewöhnt, sich aufzuregen. Stattdessen entzog er sich den Ärzten, wo
immer er nur konnte. Ulbricht kam auch allein gut zurecht. Immerhin zahlte
die Kasse den ganzen Mist. Schon in den frühen Morgenstunden hatte er
sich aus dem Kurhotel geschlichen und war dem allzu gesunden Frühstücksbuffet
entkommen, um sich unterwegs in einer Bäckerei mit belegten Brötchen
und einem Kaffee im Pappbecher zu versorgen.
Als er weitergefahren war,
hatte ihn die Burgruine, die über dem kleinen Ort thronte, magisch
angezogen. Hier, so hatte er beschlossen, würde er sein heutiges Frühstück
genießen. Die Gesundheit, die man ihm in der Kur predigte, war ihm
zuwider. Obwohl er erst seit zwei Tagen hier war, sehnte er sich zurück
nach Wuppertal, der Stadt im Bergischen Land, von der die Menschen hier
nicht viel mehr wussten, als dass dort in den 1950er-Jahren ein Elefant
aus der weltberühmten Schwebebahn gestürzt war.
Nun, sei's drum, dachte er
sich. Die vier Wochen Kur würde er überleben, und dann wartete
wieder der graue Alltag auf ihn. Er würde sich früh genug wieder
mit Gewaltverbrechern und Brandstiftern herumschlagen müssen. Also
hatte er beschlossen, das Beste aus seiner Situation zu machen und verdrückte
sich, wo es ging, um den Anwendungen, die ihm der Arzt verschrieben hatte,
zu entgehen. Der ganze Gesundheits-Kram ging ihm gehörig auf die
Nerven, und während sein Blick an den Resten der Burgruine
emporglitt, sehnte er sich nach einer Zigarette. Doch er blieb hart.
Vielleicht würde er wenigstens ein Erfolgserlebnis mit nach Hause
nehmen. Niemand hätte auch nur einen verdammten Euro darauf
verwettet, dass Kommissar Norbert Ulbricht als Nichtraucher zurückkehren
würde.
Sein Magen meldete sich mit
einem vernehmlichen Knurren. Ulbricht umrundete den Wagen, stellte den
Kaffeebecher auf dem Dach ab, öffnete die Beifahrertür und
angelte nach der Tüte mit den Brötchen. Seine Laune besserte
sich schlagartig, als er mit Brötchen und Kaffee bewaffnet die Stufen
zur Burg erklomm. Oben angekommen, stellte er fest, dass der
jahrzehntelange Nikotingenuss ihn kurzatmig hatte werden lassen. Es hatte
schon seinen Grund, weshalb sein Hausarzt ihm die Kur verschrieben hatte.
Doktor Märtins hatte darauf bestanden, dass sich Norbert Ulbricht während
der vier Wochen in Bad Pyrmont das Rauchen abgewöhnte. »Sie
haben Raubbau mit Ihrer Gesundheit betrieben«, hallten seine Worte
in Ulbricht nach. »Und nun ist es an der Zeit, den Lebensstil zu
ändern, wenn Sie noch etwas von Ihrem wohlverdienten Ruhestand genießen
wollen.«
Der Ruhestand, durchzuckte es
Ulbricht. Ja, lange dauerte es nicht mehr, bis ihn die Wuppertaler
Polizeipräsidentin aufs Abstellgleis schieben würde. Lust auf
seinen Job hatte er schon lange nicht mehr, aber der Gedanke an die
Pension, egal ob verdient oder nicht, behagte ihm auch nicht sonderlich.
Mit wem hätte er denn den Lebensabend genießen sollen? Seit
Jahren war er notorischer Einzelgänger und hatte längst
aufgegeben, sich eine Partnerin zu suchen. So hatte er das gemacht, was
ihm einfacher erschien: Norbert Ulbricht hatte sich in den Job gestürzt
und war voll darin aufgegangen. Doch das
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