Tödlicher Schnappschuss
konterte Maja. Sie ließ den Blick über
den Hof schweifen und erblickte einen Mann Ende fünfzig,
der mit einem der Streifenpolizisten sprach. Er war hochgewachsen, schlank
und trug einen leichten Sommermantel. Seine Jeans waren altmodisch und die
Schuhe ausgetreten. Das Hemd war nicht aus der neuesten Kollektion, und es
war nicht zu übersehen, dass der Mann keinen großen Wert auf
modische Bekleidung legte. Nun hatte er registriert, dass sich Maja ihm näherte.
Als er ihr den Kopf zuwandte, bemerkte sie seinen wachsamen Blick. Er
klopfte dem jungen Polizisten auf die Schulter, ließ die rechte Hand
in der Hosentasche verschwinden und trat auf Maja zu. Sie taxierte ihn mit
einem Blick. Er war trotz des fortgeschrittenen Alters ein gut aussehender
Mann. Die dunklen Haare waren von silbernen Strähnen durchzogen, doch
Maja fand Männer mit ergrauten Schläfen sehr interessant.
»Guten Tag«,
sagte er. Seine Stimme klang klar. »Ich bin Kriminalhauptkommissar
Ulbricht, Norbert Ulbricht. Ich habe den Toten gefunden.«
»Oh, ein Kollege.«
Sie spielte ihm die Überraschung vor.
Sein Händedruck war
fest, aber nicht schmerzhaft, und während sie sich die Hände schüttelten,
blickte er ihr tief in die Augen, fast so, als könne er auf den
tiefsten Grund ihrer Seele sehen. In ihrer langjährigen
Polizistenlaufbahn hatte Maja viele Menschen kennengelernt, doch Ulbricht
konnte sie nicht einschätzen. Aber am Klang seiner Stimme hatte sie
herausgehört, dass er es durchaus gewohnt war, seine Mitarbeiter zu
kommandieren.
Er strahlte eine gewisse
Autorität aus, die auch ihr eine Spur unterschwelligen Respekt einflößte.
Dennoch ließ sich Maja keine Unsicherheit anmerken. Sie lächelte
ihn freundlich an.
»Maja Klausen vom 1.
Fachdezernat im Zentralen Kriminaldienst Hameln. Ich leite die
Ermittlungen.« Sie sparte es sich, ihm den Dienstausweis zu zeigen.
Das Foto war uralt. Damals hatte sie noch besser ausgesehen. Sie zog den
Kollegen zur Seite und ließ sich von ihm schildern, was er
beobachtet hatte. Viel war das nicht, wie sie sich eingestehen musste.
Dennoch schilderte Ulbricht seine Beobachtungen sehr konkret, und sie war
froh, es mit einem Profi zu tun zu haben.
»Ihre Kollegen haben
ihn anhand seiner Papiere identifizieren können. Seltsam, dass er
keinen Schlüssel bei sich trug. Ein Autodieb scheint das nicht
gewesen zu sein, denn der Wagen des Toten steht unten auf dem Parkplatz,
also hatte man es nicht auf seinen Wagen abgesehen.« Er grinste, und
Maja überlegte, was er von Grundmann noch mitgehört haben könnte.
»Ein Handy trug der
Tote auch nicht bei sich. Die Halteranfrage Ihrer Leute hat ergeben, dass
es sich bei dem Porsche auf dem Parkplatz um seinen Wagen handelt. Ein
Fotograf, der sich einen Porsche leisten kann, ist eher selten«,
schloss Ulbricht seine Ausführungen. »Wir sollten sehen, welche
Aufträge er zuletzt angenommen hat.«
Maja glaubte sich verhört
zu haben. »Wir?«, fragte sie mit gerunzelter Stirn.
»Natürlich.
Immerhin habe ich den Mann gefunden.«
»Sie sind ein Zeuge,
und ich ermittle in dem Fall.«
»Falsch - ich bin ein
Kollege. In Wuppertal leite ich das KK 11, also haben Sie es nicht mit
einem blutigen Anfänger zu tun, Frau Kollegin.« Er schüttelte
energisch den Kopf. »Und es ist meine verdammte Pflicht, Sie bei der
Aufklärung des Falles tatkräftig zu unterstützen.« Um
seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drückte er Maja
eine Visitenkarte mit dem Wappen der Polizei NRW in die Hand. Sie warf
einen flüchtigen Blick darauf und steckte die Karte in die
Hosentasche.
»Ich habe Sie nicht um
Amtshilfe gebeten«, stellte Maja klar. »Meine Leute sind sehr
engagiert, insbesondere wenn es sich um einen Fall handelt, bei dem ein
Toter zu beklagen ist. Also setzen Sie sich in Ihr Auto und genießen
Sie das Weserbergland von seiner schönen Seite. Sicherlich wissen
Sie, dass Bodenwerder als Münchhausenstadt bekannt ist. Gehen Sie auf
Entdeckungsreise, aber mischen Sie sich nicht in meine Angelegenheiten.«
Ohne die Antwort des verdutzten Hauptkommissars aus Wuppertal abzuwarten,
machte Maja Klausen auf dem Absatz kehrt und suchte Grundmann auf. Seine
Gesellschaft war ihr augenblicklich sogar lieber als die des
aufdringlichen Kommissars aus dem Bergischen Land.
Stahler Ufer, Holzminden,
11.05 Uhr
Der spitze Turm einer Kirche
ragte in
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