Tödlicher Schnappschuss
Leben als Leiter des KK 11 hatte
ihn verbittert gemacht. Es schien ihm, als würden die Menschen immer
verrückter, immer brutaler und immer gewaltbereiter werden.
Diese Gedanken gingen ihm
durch den Kopf, als er an eine etwa hüfthohe Mauer trat und hinunter
ins Tal blickte. Die ehemalige Burg lag
direkt an einer Weserschleife. Unten querte eine kleine Fähre den
Fluss. Ulbricht betrachtete die saftig grünen Wiesen, über denen
noch der Frühnebel hing. Gelbe Rapsfelder und Weiden lagen wie ein
natürliches Schachbrett auf der sanft hügeligen Landschaft des
Weserberglandes. Der kleine Ort lag verschlafen zu Füßen der
Burgruine und erinnerte ihn unwillkürlich an das Dorf einer
Modellbahnlandschaft.
Als er den Kopf in den Nacken
legte und zum Himmel hinaufblickte, ahnte er, dass es ein angenehm warmer
und sonniger Tag werden würde. Ulbricht hockte sich auf die Mauer und
genoss den ländlichen Ausblick. Auf der Straße, die sich gleich
neben dem Fluss entlangzog, rumpelte ein Kieslaster mit surrenden Reifen
nach Norden. Sechs PKW hingen ihm wie lästige Insekten an der Stoßstange.
Die Fahrer fluchten wahrscheinlich, weil sie den gemächlich
dahinschleichenden Lastwagen auf der kurvenreichen Straße nicht
überholen konnten.
Ein Grinsen huschte um
Ulbrichts Mundwinkel, doch es war kein schadenfrohes Grinsen. Er genoss es
zum ersten Mal, keinen Stress zu haben und atmete tief durch. Ja, dachte
er sich, die Luft hier tut gut. Dann nahm er einen Schluck von seinem
Kaffee und machte sich an der Tüte zu schaffen. Die Brötchen
dufteten herrlich. Er entschied sich für das Mettbrötchen, nahm
es heraus und biss hinein. So könnte es doch immer sein, dachte er
zufrieden mit sich und seiner Welt. Mit nichts und niemandem etwas am Hut
zu haben und einfach dort zu sein, wo es ihm gefiel.
Während er frühstückte,
genoss er vom Bergsporn aus das Panorama. Immer wieder spülte er mit
einem Schluck Kaffee nach. Irgendwann blickte er jenseits der Mauer, auf der er saß, nach
unten. Weit ging es nicht hinunter, und dichtes Buschwerk und einzelne Bäume
hinderten ihn daran, die Tiefe zu schätzen. Efeu kletterte an den mächtigen
Steinquadern empor.
Doch da war etwas, das ihm
das Blut in den Adern gefrieren ließ: Ulbricht sah eine Person, die
in verrenkter Haltung leblos im Grün hing. Sofort dachte er an den
roten Porsche auf dem Parkplatz. Handelte es sich bei dem Mann um den
Besitzer des Sportwagens? Er war nicht sicher und zog auch einen Wanderer
ins Kalkül, der über die Mauer nach unten gestürzt war und
sich im Astwerk hatte fangen können. Doch zum einen trug der Mann
nicht die typische Kleidung eines Wanderers, zum anderen blickte Ulbricht
in weit geöffnete, leblose Augen, die anklagend zu ihm aufblickten
und auch aus der Entfernung keinen Zweifel daran ließen, dass der
Mann tot war.
Die Hand, mit der Ulbricht
das Brötchen hielt, öffnete sich. Das Brötchen entglitt ihm
und stürzte nun ebenfalls in die Tiefe. Als er nach dem Handy
angelte, das sich in der Tasche seines leichten Sommermantels befand,
kippte er auch noch den Becher um, der vor ihm auf dem Mauerwerk stand. Im
Fallen löste sich der Plastikdeckel des Bechers. Die braune Brühe
schwappte nach unten und ergoss sich über den Toten, der nun erst
recht keinen schönen Anblick mehr bot. Ulbricht vergaß, dass er
hier zur Kur war.
Sein Gehirn funktionierte
wieder präzise wie ein Computer, als er den Notruf wählte und
den Kollegen in der Zentrale schilderte, welch grausame Entdeckung er hier
oben auf der Burgruine von Polle gemacht hatte.
Osterstraße, Hameln,
8.50 Uhr
Normalerweise hätte sie
Lisa, ihre Praktikantin, zur Bäckerei geschickt. Doch die hatte sich
pünktlich zum Dienstbeginn krankgemeldet: Migräne. Aber Maja
Klausen wusste, dass die Kleine gestern zu einer Party eingeladen gewesen
war. Dumm genug, ihrer Vorgesetzten vorher davon zu berichten, war sie
immerhin gewesen. Vermutlich hatte sie die Nacht durchgemacht, reichlich
Alkohol getrunken und war schlicht nicht aus dem Bett gekommen, als der
Wecker sie aus den Träumen gerissen hatte. Völlig verkatert
hatte sie sich telefonisch krankgemeldet.
Ein Schmunzeln legte sich auf
Majas volle Lippen. Die Kleine musste eben noch viel lernen und war noch
nicht lange genug bei der Polizei, um ihr etwas vormachen zu können.
Doch sie war ihr nicht böse,
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