Tödlicher Schnappschuss
den nahezu wolkenlosen Himmel. Es schien, als hätte er
Patina angesetzt, dachte Ulbricht und fragte sich, welche Funktion wohl
das klobige Gebäude unweit der Kirche hatte. Ein Schild am Straßenrand
verriet ihm, dass es sich um den alten Getreidespeicher handeln musste.
Nachdem er die Weser, die hier die Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und
Niedersachsen bildete, überquert hatte, fand er einen freien
Parkplatz am Johannismarkt. Von hier aus legte er den Rest des Weges zu Fuß
zurück. Da er sich nicht auskannte, musste er mehrmals nach dem Weg
fragen. Für die Schönheiten der Weserstadt hatte er keinen
Blick. Das Jagdfieber hatte ihn längst gepackt. Er war auf der Suche
nach einer heißen Spur, die ihn zum Mörder des Fotografen führte.
In einem Studio hatte Christian Vorberg offenbar nicht gearbeitet, denn
seine Wohnung lag in einem Fachwerkhaus, das auf den ersten Blick keine
Geschäftsräume aufwies. Die Adresse hatte Ulbricht mitgehört,
als Hauptkommissar Grundmann die Brieftasche des Toten geöffnet
hatte, um seine Identität festzustellen. Dieser Grundmann war ein
seltsamer Typ. Aber er war so dumm gewesen, die Adresse des Toten laut
genug zu verkünden, dass er es hatte mithören können. Der
Umstand, dass man bei Vorberg keinen Schlüssel gefunden hatte, machte
ihn stutzig. Viele Menschen trugen ihre Schlüssel an einem Bund.
Auto-, Postfach- und Wohnungsschlüssel waren oft eine Einheit. Und da
der Wagen nicht entwendet worden war, hatte sich Ulbricht der Verdacht
aufgedrängt, dass man es auf Vorbergs Bleibe abgesehen hatte. Grund
genug für ihn, sich die Wohnung des Toten einmal anzusehen.
Es gab zwei Klingelschilder
am Eingang, eins trug die Aufschrift Ch. Vorberg, das andere Hans
Hutmacher. Er wunderte sich über den Namen und dachte unwillkürlich
an einen Werbespot, den er aus dem Fernsehen kannte.
»In jedem siebten Ei,
ist ein Hans Hutmacher mit dabei«, murmelte er grinsend. Da die
Wahrscheinlichkeit, dass ihm Christian Vorberg die Türe öffnen würde,
äußerst gering war, legte Ulbricht den Daumen auf den
Klingelknopf von Hans Hutmacher. Es dauerte einen Moment lang, dann ertönte
ein Summer, und der Kommissar stemmte sich gegen die Tür. Er fand
sich in einem schummrigen Treppenhaus wieder, das halbhoch mit Holz vertäfelt
war. Eine schmale Holztreppe führte nach oben; die Teppichfliesen auf den Stufen waren abgewetzt und hätten
längst erneuert werden müssen. Rechts an der Wand verbeulte
Briefkästen aus Blech, dann eine Tür mit Milchglasscheiben,
hinter denen Licht brannte. Die Tür wurde geöffnet und eine alte
Frau, bekleidet mit einer geblümten Schürze, trat in den Flur
und musterte ihn misstrauisch. Die ergrauten Haare hatte sie hinter dem
Kopf zu einem Knoten zusammengebunden. Eilig trocknete sie sich die
faltigen Hände an einem karierten Geschirrtuch ab. Ulbricht
vermutete, dass Hans Hutmacher nicht mehr lebte, und die Witwe hatte das
Namensschild ihres Mannes an der Klingel belassen, um finstere Gestalten
nicht darauf aufmerksam zu machen, dass hier eine alte, alleinstehende
Frau lebte.
»Was wollen Sie?«,
krächzte sie. Ulbricht schätzte sie auf knapp neunzig Jahre.
»Sind Sie Frau
Hutmacher?«
»Martha Hutmacher, ja.
Wer will das wissen und was geht Sie das an?«
Er lächelte verbindlich.
Bei ihr hatte er keine Chance.
Also die offizielle
Vorstellung, durchzuckte es ihn. Er zog seinen Dienstausweis heraus und
hielt ihn der Alten so hin, dass sein Daumen auf dem NRW-Wappen lag.
»Ulbricht ist mein Name, Kriminalpolizei.« Mit Zufriedenheit
stellte Ulbricht fest, dass sich das Misstrauen der Alten in Entsetzen
verwandelte. Sie schlug die Hände vor das Gesicht.
»Mein Gott«, stieß
die resolute Seniorin hervor. »Ist etwas passiert?«
»Ich fürchte ja.«
Ulbricht hasste es, Todesnachrichten zu überbringen. Doch es gehörte
zu seinem Beruf, und er wusste nicht, in welchem Verhältnis Frau
Hutmacher zu Christian Vorberg gestanden hatte. Vielleicht waren sie nur
Nachbarn, womöglich hatte sie aber auch mehr
miteinander verbunden. Ulbricht beschloss, sensibel zu sein, auch, wenn
das nicht seine Stärke war. Er deutete auf die Wohnungstür.
»Darf ich einen
Augenblick hereinkommen?«
Nicken, der Blick der Alten
huschte unstet zwischen ihm und dem gekachelten Fußboden hin und
her. »Kommen Sie.« Martha Hutmacher ging
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