Tödlicher Schnappschuss
denn auch wenn Maja die Vierzig überschritten
hatte, so war sie eine lebensfrohe Frau und hatte ihre eigene Sturmund
Drangzeit nicht vergessen. In der kleinen Bäckerei in der Osterstraße
herrschte reger Betrieb an diesem Morgen, und es dauerte eine Weile, bis
sie an der Reihe war. Die Wartezeit überbrückte sie damit, die
Auslagen im Kuchenregal zu bewundern. Maja Klausen hatte eine Schwäche
für Süßigkeiten, und es hatte durchaus seinen Grund, dass
sie in der Regel Lisa zum Bäcker schickte: Sie selbst wurde
angesichts der Leckereien immer wieder schwach und kaufte viel mehr als
nur Brötchen. Eine menschliche Schwäche, die sich allzu gern auf
der Hüfte zeigte und die dann mit stundenlangem Joggen im Hamelner
Stadtwald wieder mühsam abtrainiert werden musste.
Entschied sie sich für
einen Amerikaner mit Zuckerguss, oder nahm sie eine Puddingschnecke? Die Vanillecreme sah verführerisch
aus. Oder doch lieber ein Stück Erdbeerkuchen vom Blech? Ja, der
Erdbeerkuchen sollte es sein. Ein Stück nur, und ohne Sahne, dann war
es vielleicht nicht ganz so schlimm, machte sie sich selbst Mut. Schnell
entschied sie sich um und wählte in Gedanken den Amerikaner. Den würde
sie auf dem Weg zur Polizeiinspektion auf der Hand essen können. Die
Kollegen mussten ja nicht mitbekommen, dass sie mal wieder schwach
geworden war. Dann würde das Tuscheln hinter ihrem Rücken wieder
losgehen. Also - ein Amerikaner, der konnte vielleicht nicht schaden. Oder
doch lieber der wohlduftende Erdbeerkuchen vom Blech?
Gerade, als sich Maja für
die Puddingschnecke entschieden hatte, wurde sie von der rundlichen Verkäuferin
nach ihren Wünschen gefragt. Die Badesaison stand vor der Tür,
und da waren Fettpölsterchen genau das, was sie nicht gebrauchen
konnte. Schnell bestellte Maja zwei belegte Brötchen und eine
Laugenstange für den kleinen Hunger zwischendurch. Nachdem sie mit
passendem Geld bezahlt hatte, griff sie nach der Tüte und machte,
dass sie aus der Bäckerei kam, bevor sie doch noch schwach wurde. Die
prächtigen Renaissance-Fachwerkhäuser mit ihren bunten
Treppengiebeln begeisterten sie einmal mehr, als sie in die Bäckerstraße
abbog. Die ersten Touristen flanierten in bunten, wetterfesten Jacken
durch den historischen Kern der Rattenfängerstadt, und minutenlang
vergaß Maja Klausen den Job. Sie ließ sich einfangen vom Flair
der Altstadt und genoss es, durch die Straßen zu schlendern, als sie
das sanfte Vibrieren in ihrer Jackentasche spürte. Von einer Sekunde
zur anderen war sie wieder im Alltag angekommen und zog das Telefon
hervor. Mit einem Blick auf das Display stellte sie fest, dass
der Anruf aus der Polizeiinspektion kam. Hatte einer der Kollegen noch
etwas vergessen? Sollte sie noch einmal umkehren und die Bäckerei
erneut betreten, um dann schwach zu werden und sich doch für ein Stück
Erdbeerkuchen zu entscheiden?
Sie drückte die grüne
Taste und nahm den Anruf an. Am anderen Ende der Leitung war Roland
Alders. Der junge Kommissar kam ohne Umschweife auf den Punkt. »Wir
haben einen Toten. An der Everstein-Ruine in Polle. Schwing die Hüften,
Frau Kollegin, es gibt Arbeit.«
»Schöner Start in
den Tag«, murmelte Maja. »Ist das Tatort-Team schon da?«
»Klar, die
Spurensicherung ist zugange, allerdings ist die Bergung der Leiche nicht
ganz leicht. Ich hab mal ein Team der Feuerwehr hingeschickt, die sollen
unsere Jungs unterstützen.«
»Hast du gut gemacht.
Ich fahr sofort los.«
»Soll ich nicht mit?«
Alders klang enttäuscht. »Ist doch gleich bei mir um die Ecke.«
Er stand noch am Anfang seiner Polizeikarriere und hatte es noch nicht mit
vielen Todesfällen zu tun gehabt. »Ich könnte auf dem Rückweg
zu Hause die Wäsche aufhängen.«
»Nee, lass mal gut
sein. Halt du lieber in der Inspektion die Stellung. Ich melde mich, wenn
ich mehr weiß.« Bevor er Einspruch einlegen konnte, hatte Maja
den roten Knopf gedrückt und ließ das Handy in der Tasche
verschwinden. Eilig begab sie sich zum Parkplatz. Das Frühstück
musste warten, aber vielleicht konnte sie ja unterwegs ins Brötchen
beißen.
Burgruine Polle, 9.35 Uhr
Natürlich hatten sich
bereits Schaulustige eingefunden, als sie den Tatort erreichte. Sie
standen in kleinen Grüppchen in der Morgensonne zusammen und waren in
intensive Diskussionen vertieft. Das Tatort-Team vom Einsatz-
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