Tödlicher Schnappschuss
dörfliche Stille
passte irgendwie nicht zu einer Escort-Lady. Sicherheitshalber zog
Ulbricht den Auszug der Adressdatei, den er von Sticher mitbekommen hatte,
aus der Tasche und verglich noch einmal die Adresse. Schnell faltete er
das Blatt zusammen und ließ es wieder in der Tasche seines
Sommermantels verschwinden. Mit einem Blick auf das Klingelschild überzeugte
er sich davon, dass Alexandra Voosen hier wohnte. Ulbricht überlegte
nicht lange und legte den Daumen auf den Klingelknopf. Drinnen schlug eine
schrille Glocke an. Es dauerte nicht lange, bis sich Schritte näherten
und die Haustür geöffnet wurde.
Ausdruckslose Augen blickten
ihm entgegen, und Ulbricht hätte sich um ein Haar für die Störung
entschuldigt, doch im letzten Moment erkannte er die Frau wieder. Es
bestand kein Zweifel, vor ihm stand die Frau, die er suchte - Alexandra
Voosen. Im Gegensatz zu den Bildern, von denen
er sie kannte, wirkte sie blass und beinahe unscheinbar. Sie trug einen
leichten Morgenmantel, den sie mit einem dünnen Gürtel
zusammengerafft hatte. Die langen Haare waren zu einem einfachen
Pferdeschwanz hinter dem Kopf zusammengebunden. Da war nichts von Luxus
und Glamour, der diese Frau sonst umgab. Und trotzdem war Ulbricht von
ihrer natürlichen Schönheit fasziniert. Eigentlich, so dachte er
sich, brauchte diese Frau weder Schminke noch teure Kleidung, um schön
zu sein. So konnte er sich gut vorstellen, dass Alexandra Voosen es
verstand, die Männer in ihren Bann zu nehmen.
»Ich kaufe nichts an
der Tür.«
Alexandra Voosens Stimme
klang verschlafen.
»Oh«, sagte
Ulbricht und lächelte freundlich. »Das sollen Sie auch gar
nicht. Darf ich einen Augenblick hereinkommen?« Er zeigte ihr den
Dienstausweis, sie warf einen kurzen Blick darauf, dann zuckte sie die
Schultern.
»Wenn es sich nicht
vermeiden lässt.« Sie gab den Eingang frei und ging voran.
Ulbricht folgte ihr in einen
recht schmalen Flur und drückte die Eingangstür ins Schloss.
Unter seinen Füßen knarzten die Dielen, schwere Balken stützten
die Decke. Sie ging voran und führte ihn in eine urig eingerichtete
Wohnküche. Am Fußboden große Terrakotta-Fliesen, unter
der Decke auch hier das charakteristische freigelegte Balkenwerk. Weiß
getünchte Wände und ein gusseiserner Kaminofen, der an kalten
Wintertagen sicherlich für wohlige Wärme sorgte. Eine freie
Holztreppe führte in das Obergeschoss; Ulbricht vermutete dort ein
Schlafzimmer und das Bad. Sehr groß war das Haus nicht. Die Essecke
wurde von einem großen, mit smaragdgrünem
Stoff überzogenen Sofa beherrscht.
»Nehmen Sie Platz«,
forderte Alexandra Voosen ihn auf, und Ulbricht ließ sich auf dem
historisch anmutenden Sitzmöbel nieder.
Seine Gastgeberin blieb
stehen. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
Unter normalen Umständen
hätte Ulbricht um einen Kaffee gebeten, aber zum einen war es ein
warmer Frühsommertag, zum anderen hatte er die Worte seines Arztes im
Ohr, der ihn zu gesunder Ernährung angehalten hatte. Bei seinem
normalen Kaffeekonsum im Alltag hatte ihn sein Arzt als herzinfarktgefährdet
eingestuft.
»Einen kalten
Orangensaft nehme ich gern - wenn Sie haben.«
»Natürlich.«
Zum ersten Mal lächelte sie. Alexandra Voosen durchquerte den Raum
und machte sich am Kühlschrank zu schaffen. Sie füllte den
O-Saft in eine Glaskaraffe.
Ulbricht blickte sich um.
Alles in diesem Haus schien uralt zu sein, aber es wirkte nichts
vergammelt, sondern strahlte den historischen Charme einer längst
vergangenen Zeit aus. Ein wenig fühlte er sich wie in einem Museum.
Nur der moderne Flachbildschirm in einer Zimmerecke und das schnurlose
Telefon auf dem Tisch waren Attribute der modernen Zeit. Und natürlich
die modernen Küchengeräte, die sicherlich ein Vermögen
gekostet hatten.
Mit der Karaffe und zwei Gläsern
kehrte Alexandra Voosen zu ihm zurück, füllte beide Gläser
und setzte sich auf einen Stuhl ihm gegenüber. Dabei öffnete
sich der Morgenmantel ein wenig weiter, und Ulbricht erwischte sich dabei,
auf ihre langen und wohlgeformten Beine zu schielen. Ulbricht hoffte,
dass sie seinen Blick nicht bemerkt hatte und griff eilig zum Glas.
»Sie müssen meinen
Aufzug entschuldigen«, bemerkte sie. »Aber ich bin erst in der
letzten Nacht aus München zurückgekommen. Es war spät, und
ich habe
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