Tödlicher Staub
Augen und brach in ein wimmerndes Weinen aus. »Er muß sich irgendwo verletzt haben. Das Blut im Maul … wo kommt es her? Hat ihn ein Auto gestreift? Oh, wie ich Autos hasse! Neun Jahre hat er gelebt, mein Kleiner.«
»Bringen Sie ihn zu einem Tierarzt, Eftimia Olegowna«, schlug Suchanow vor. »Nur er kann sagen, woran Ihr Liebling gestorben ist.«
»Kann er ihn mir wieder zum Leben erwecken? Nein! Heimlich werde ich ihn am Rande des Friedhofs vergraben … er war treuer als ein Mensch! O Gott, o Gott, was tust du mir an?«
»Wo liegt er jetzt?« fragte Suchanow. »Ich helfe Ihnen beim Begraben.«
»Er ruht auf einem Handtuch in meinem Bett. Wie oft hat er an meinen Füßen geschlafen. Vor allem im Winter, da wärmte er mich.« Sie holte tief Luft und rief: »Ich habe ihn noch einmal geküßt, mein Katerchen.«
Suchanow schloß für einen Moment die Augen. Sie braucht sich nicht mehr das Leben zu nehmen – sie hat es schon getan! Sie hat einen mit Plutonium verseuchten Leichnam geküßt! Eftimia Olegowna, jetzt kann dir niemand mehr helfen.
Aber Wawra lebte noch … wie kann man dieses Wunder erklären?
Das laute Schreien der Witwe hatte nun auch Wawra geweckt. In einem dünnen Morgenmantel, der sich um ihren nackten Körper schmiegte, kam sie in den Flur gestürzt.
»Was ist hier los?« rief sie und schrak zusammen, als die Witwe bei ihrem Anblick erneut in kreischendes Heulen ausbrach. »Nikita, was …«
»Der Kater ist tot!« unterbrach sie Suchanow. »Ganz plötzlich. Blutet aus dem Maul …«
»O Gott!« rief nun auch Wawra, und echtes Entsetzen klang in ihrem Aufschrei. »Wo war die Katze?«
»Wer weiß das?« kam Nikita der Witwe zuvor. »Der Kater lief immer frei herum. Ich glaube, man hat ihn angefahren, und er konnte sich noch bis nach Hause schleppen und starb dann vor Eftimias Bett. Tragisch.«
»Komm einmal mit, Nikita.« Wawra ging zurück ins Schlafzimmer, und Suchanow folgte ihr. Sie setzte sich auf die Bettkante und zog den Morgenmantel enger um ihren Körper, als fröre sie. Ihr blasses Gesicht war noch bleicher geworden.
»Es war kein Autounfall«, sagte Wawra leise. »Nikita, ich habe schon einige Katzen auf ähnliche Art sterben sehen. Verwilderte Katzen, die sich auf dem Forschungsgelände herumgetrieben und Abfälle gefressen hatten. Die Wissenschaftler haben sie seziert, Ergebnis: Sie waren hochgradig verstrahlt. Ihre Radioaktivität war sensationell. Eftimias Kater muß verseuchte Abfälle gefressen haben. Er muß so schnell wie möglich verbrannt werden!«
»Dagegen wird sich Eftimia wehren wie eine Löwin, der man ihr Junges wegnehmen will. Wir wollen die Katze heute noch vergraben, am Rande des Friedhofs.«
»Verbrennen ist sicherer.«
»Wenn es stimmt, was du sagst. Atomverstrahlt … ich kann's nicht glauben. Dann wäret ihr ja alle bei eurer Arbeit gefährdet.«
»Das weiß ich.« Und jetzt löste Wawra das Rätsel, das ihn und Sybin so unerklärbar bedrängte. »Jeden Tag lasse ich mich nach der Arbeit kontrollieren. Und wenn der Geigerzähler nur ein wenig ausschlägt, gehe ich durch die Entgiftungsschleuse. Da wird alles weggespült.«
»Jeden Tag gehst du da durch?« fragte Suchanow.
»Nur wenn ich radioaktiv bin. In den letzten Tagen ist die Strahlung stärker geworden. Keiner weiß, wodurch. Irgendwo ist eine undichte Stelle … wir suchen sie verzweifelt, aber wir haben sie noch nicht gefunden. Merkwürdig ist, daß ich die einzige bin, die solch hohe Werte hat. Aber mein Arbeitsplatz an der Waage ist in Ordnung.«
»Hilft die Entseuchungsanlage auch, wenn du Plutoniumstaub eingeatmet hast?«
»Wo sollte ich Staub einatmen?«
»Ist das nicht möglich?«
»Ausgeschlossen. Beim Wiegen und Abfüllen ist alles luftdicht abgeschlossen. Da dringt nichts nach draußen.« Wawra schüttelte den Kopf. »Außerdem tragen wir Atemschutzmasken.«
»Aber Eftimias Kater …«
»Schatz, wir essen keine Abfälle.« Sie erhob sich von der Bettkante, küßte ihn auf die Stirn und verließ das Schlafzimmer. Suchanow blieb in großer Verwirrung zurück. Als er sich beruhigt hatte, ging er wieder hinaus in den Flur. Die Witwe hockte noch immer weinend auf ihrem Stuhl und schien kein Wort von dem zu verstehen, was Wawra ihr sagte. Hilflos drehte sich Wawra zu Nikita herum.
»Sie begreift es nicht«, sagte sie.
»Wie kann eine alte Frau das auch begreifen? Der Kater ist tot, nur das versteht sie. Laß sie in Ruhe, Wawra. Bring sie in ihre Wohnung. Nein, bleib hier … sie
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