Tödlicher Staub
weiß: Werfe ich die erste Bombe, trifft die zweite mich, denn jede Bombe hat einen Absender.«
»Bei Bakterien nicht?«
»Nein! Es genügen zehn harmlos aussehende Männer, die an zehn verschiedenen Ecken ihre Büchse der Pandora öffnen … und es gibt kein Frankreich mehr oder kein England oder kein Israel oder kein Indien. Für Sri Lanka brauchten die Rebellen nur fünf Mann, und das ganze Land wäre für über fünfundvierzig Jahre unbewohnbar.«
»Wer will schon ein Land erobern, das er fünfundvierzig Jahre lang nicht betreten kann!«
»Nicht erobern. Hier geht es nur um die Vernichtung!«
»Du hast mich vorhin einen Teufel genannt … du bist der Vater aller Teufel!«
»Es war nur ein Beispiel. Wir könnten die Welt beherrschen, Igor Germanowitsch. Eine kleine Warnung, irgendwo eine Stadt, in der alle Menschen durch Milzbrandbakterien sterben. Und danach der Appell an alle Staaten: Setzt euch zusammen und beendet die regionalen Kriege, reicht euch alle die Hand … sonst zieht der tödliche Staub über euch hinweg. Seht auf diese Stadt … ihr könnt nichts anderes tun, als sterben. Es gibt keine Abwehr, keine Gegenmittel, kein Staat kann Millionen von Menschen auf einmal medizinisch versorgen! Das, Igor Germanowitsch, wäre der wirkliche, immerwährende Frieden! Hier gibt es wirklich keine Sieger mehr … nur Besiegte. Und jeder wird das einsehen. Was ist dagegen schon eine Atombombe?!«
»Und die lieben Bakterien verschonen von allen Menschen ausgerechnet dich und mich.« Sybin schüttelte den Kopf. »Wenn du das Phantasie nennst … nein, es ist Phantasterei! Das ist ekstatischer Selbstmord! Ich will leben, aber mir nicht die Milz zerfressen lassen! Vergiß es, Paul! Ich mache alles mit, wenn es einen Sinn hat … aber das niemals!« Sybin erhob sich. »Komm, wir fahren hinaus zu Nataljas Datscha. Das mußt du sehen … was man aus einem Haus, das aussieht wie eine Blockhütte, alles machen kann. Du wirst staunen!«
»Muß das sein?« fragte Sendlinger enttäuscht. Er hatte von Sybin eine andere Reaktion erwartet.
»Hast du Angst vor Natalja?«
»Nicht im geringsten. Aber sie mag mich nicht.«
»Sie wird dich noch weniger mögen, wenn sie erfährt, daß du sie mit Milzbrand verseuchen willst.« Sybin lachte schallend. »So eine Schnapsidee! Freue dich lieber auf ein tolles Abendessen. Natalja hat eine Köchin auf der Datscha, die macht aus einem Spiegelei eine Hymne auf das Huhn.« Er griff zum Telefon, rief Natalja an und blinzelte dann Sendlinger zu. »Es gibt Prager Schinken mit Rosenkohl und Blinis. Auf, auf zu Natalja …«
Die Datscha beeindruckte Sendlinger tatsächlich – sie mußte Millionen gekostet haben. Weniger erfreut war er über Nataljas eisige Begrüßung, obwohl sie ihre Hausfrauenpflichten vollendet erfüllte. Was sie dachte, sagte sie Sybin, als er in der Küche in die Kochtöpfe gucken wollte.
»Warum bringst du ihn mit? Er ist von einer ekelhaften Arroganz.«
»Das muß man ertragen können.« Sybin tätschelte Nataljas Hintern. »Du wirst in Kürze in anderer Gesellschaft sein. Du wirst verreisen.«
»Mit dir nach Hawaii?«
»Nein, mein Schweinchen … allein nach Paris. Du wirst eine Madame de Marchandais besuchen und in ihrem ›Roten Salon‹ die Männer ins Bettchen zerren.«
»Ein Edelbordell?«
»Ein Kulturzirkel, das klingt geistvoller. Ich werde dir morgen erklären, was du dort alles tun wirst und wie wichtig deine Aufgabe ist. Es ist der größte Auftrag, den du bisher bekommen hast.« Er tätschelte sie erneut und küßte ihren Nacken. »Als Geschenk von mir kannst du dir bei Bulgari, einem der besten Juweliere der Welt, aussuchen, was dir gefällt. Ist das ein Angebot, Herzchen?«
Natalja Petrowna schwieg und dachte: Wieder muß ich eine Hure sein!
Aber Sybin wußte, daß sie den ›Roten Salon‹ im Sturm erobern würde …
Sibirische Dunkelheit
Es war unfaßbar: Wawra Iwanowna Jublonskaja lebte noch immer.
Sie war zwar etwas blasser geworden, die Haut hatte einen gelblichen Ton bekommen, und ab und zu blieben nach dem Kämmen dünne Haarsträhnen in den Borsten der Bürste zurück, aber das schob Wawra auf ihre Tätigkeit im Wiegelabor. Viele Arbeiter im Atomwerk zeigten diese Krankheitssymptome; sie machten sich keine großen Gedanken darüber, verstrahlt waren sie alle, wenn auch nur leicht und nicht akut lebensgefährlich, aber die Lebenserwartung sank natürlich gegenüber einem Bauern, der in frischer Luft seine Felder bestellte. Doch auch
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