Tödlicher Staub
soll sie nicht bei innerer Verstrahlung helfen?«
»Das hätten die Wissenschaftler schon längst gemerkt.«
»Eben nicht! Wer denkt schon an Milch! Sie experimentieren mit komplizierten chemischen Mitteln, aber über Milch hat noch keiner nachgedacht. Versuche es, Nikita! Verlier nicht den Kopf, gib nicht auf!« Sybin redete sich in eine verzweifelte Hoffnung hinein. »Fahr aufs Land hinaus, hole die beste, reinste Milch direkt von den Bauern, nicht die sterilisierte Jauche, die euch die staatliche Molkerei liefert! Milch direkt von der Kuh, ungefiltert, so wie's aus dem Euter läuft …«
»Ich werde es tun, Igor Germanowitsch. Schaden kann es ja nicht, aber auch nicht helfen. Das weiß ich.«
Suchanow brach das Gespräch ab, denn Wawra kam aus der Küche zurück. Sie brachte die Vorspeise mit, eine Mjasnaja Soljanka, eine würzige Fleischsuppe, und stellte die Terrine auf den Tisch. Aus der Küche zog der Duft des gebratenen Kaninchens in das Zimmer. Es war wie an einem Feiertag, und für Wawra und Nikita war heute wirklich ein besonderer Tag.
»Wann lassen Sie die beiden Container abholen?« fragte Suchanow.
»Ich gebe Nachricht.«
»Wir müssen es zwei Tage vorher wissen, damit Wawra die Container aus der Fabrik herausbringen kann.«
»Und wie will sie das schaffen?«
»Das ist unsere Aufgabe, Igor Germanowitsch.« Suchanows Stimme klang bestimmt und energisch. »Die Hauptsache ist, daß Ihre Leute zuverlässig sind.«
Das war ein guter Satz, dachte Nikita. Jetzt wird er begreifen, daß ohne uns gar nichts geht und daß er auf unsere Arbeit angewiesen ist. Daß er ohne uns draußen steht wie ein Bettler vor einem Restaurant, der darauf wartet, daß die reichen Gäste das Lokal verlassen und ihm ein Rubelchen in die Hand drücken. So kann sich manches sehr schnell ändern, mein lieber großer Sybin. Die Welt ist ein Ball, der hin und her geworfen wird. Einmal wird einer sie fallen lassen, und keiner fängt sie mehr auf. Hoffen wir, daß wir es nicht mehr erleben.
»Noch einen fröhlichen Abend!« sagte Suchanow. »Wir werden diesen Tag feiern … feiern Sie in Gedanken mit uns.«
»Das werde ich, Nikita Victorowitsch.« Sybin meinte es wirklich ehrlich. »Das erste Glas Champagner an diesem Abend trinke ich auf dein und Wawras Wohl.«
Nikita wollte auflegen, aber Wawra winkte ihm zu. Noch nicht, noch nicht.
»Frag ihn, ob er dich nun zum Direktor macht!« rief sie. »Er hat's dir doch versprochen …«
»Was sagt sie?« fragte Sybin. Er hatte Wawras Stimme im Hintergrund gehört. Suchanow fühlte sich wie mit Triumph gemästet.
»Wawra fragt, wann Sie mich zum Direktor machen …«, antwortete er.
»Warum willst du Schwachkopf Direktor werden, wenn du Millionär wirst?«
»Da haben Sie recht. Gute Nacht, Herr Sybin.«
Nikita ließ den Hörer auf die Gabel fallen.
»Was hat er gesagt?« fragte Wawra.
»Einen Millionär macht man nicht zum Direktor, sondern zum Freund.«
»Wieso Millionär?«
»Wawra, Schatz. Hast du nicht daran gedacht?«
»Woran?« fragte sie erstaunt.
»Zwei Kilogramm Plutonium 239 wird Sybin für hundertzwanzig Millionen Dollar verkaufen. Davon bekommst du zehn Prozent … das sind zwölf Millionen Dollar! Du wirst die reichste Frau Rußlands sein!«
»Mein Gott, das hatte ich ganz vergessen.« Wawra sank auf einen Stuhl und legte beide Hände auf die Brust. »Ich habe nur an dich und unsere Liebe gedacht. Zwölf Millionen Dollar … sie gehören bereits uns … Nikita, das muß ich erst begreifen. Im Augenblick ist das noch unfaßbar. O mein Liebling, wie wird jetzt alles werden?«
Es wurde eine wirklich schöne Feier, aber sie dauerte nicht lange.
Nach vier Gläsern Wodka sank Wawra Iwanowna in sich zusammen. Nikita trug sie ins Bett, zog sie aus und setzte sich neben sie auf die Bettkante. Er streichelte ihren Körper, küßte ihn von der Halsbeuge bis zu den Zehen und preßte dann sein Gesicht zwischen ihre Brüste.
Sie kann nichts mehr vertragen, dachte er mit einem Schaudern. Ihr Körper kapituliert schon nach vier Gläschen Wodka. Er leistet keinen Widerstand mehr. Er ist zerstört, so betörend er auch aussieht. Und ich, Nikita Victorowitsch Suchanow, habe sie auf dem Gewissen. Ich bin ihr Mörder, ihr heimtückischer Mörder, der ihr Inneres zerfressen läßt.
Wawra, Wawra, sollen wir nicht doch zusammen sterben? Jetzt, in dieser Stunde? Du wirst es nicht spüren, wenn ich dich würge. Es ist schnell vorbei, wenn ich dir den Kehlkopf zerdrücke. Ein kaum
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