Tödlicher Staub
hat die Möglichkeit, über seine V-Männer Informationen zu sammeln und an uns weiterzugeben. Wissen die in Pullach jetzt schon mehr als wir?
»Ich lasse Sie in ein Hotel bringen«, sagte Wallner zu Elfriede. »Zur Rückfahrt nach Köln ist es schon zu spät. Selbstverständlich übernehmen wir die Kosten. Ihre Aussagen haben uns sehr geholfen, Frau Gremmling.« Wallner erhob sich. Auch Elfriede stand auf, sie zitterte noch immer. Die aufgeplatzte Unterlippe, die man auf dem Revier in Köln mit etwas Jod behandelt hatte, brannte und war um das Doppelte angeschwollen. Jetzt, nachdem alles vorbei war, nachdem sie dem Oberrat alles erzählt hatte, überfiel sie eine große Müdigkeit und Schwäche. Sie hatte das Gefühl, in den Knien einzuknicken, und hielt sich an der Tischkante fest. Ein unbekanntes Kribbeln durchzog ihren Körper, als schwämme in ihrem Blut eine Ameisenherde mit.
»Ich … ich kann nicht mehr …«, stammelte sie. »Ich falle gleich um …«
Wallner brachte sie aus dem Zimmer. Draußen übernahm sie ein Beamter und fuhr sie sofort in ein kleines Hotel außerhalb des Stadtkerns von Wiesbaden. In ihrem Zimmer fiel Elfriede auf das Bett und hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich auszuziehen. Aber bevor sie in einen gnädigen Schlaf fiel, dachte sie noch: Was haben sie mit Freddy gemacht? Wo ist er? Wollten die beiden Männer ihn wirklich umbringen? Warum denn … er weiß doch auch nichts. Man hat seine Gutmütigkeit mißbraucht, er ist unschuldig, und von diesem verdammten Plutonium hat er auch keine Ahnung! Warum will man ihn töten?
Ihre Angst steigerte sich bis zur Panik … aber ihr Körper verlangte nach Ruhe. Und Elfriede glitt in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
In einem abhörsicheren, kleinen Raum saßen zwei Tage später drei Männer und eine Frau zusammen um einen runden Tisch, tranken Fruchtsaft und hörten mit angespannter Miene zu, was einer der Männer vortrug.
Der Raum befand sich im Hauptquartier der CIA in Washington und konnte nur mit einer Chipkarte geöffnet werden. Hier wurden besonders heikle und geheime Probleme besprochen, von denen außerhalb dieses Zimmers keiner etwas wußte, außer der kleinen Gruppe der Betroffenen, die sich damit zu befassen hatten.
An diesem Vormittag saßen um den runden Tisch: der Leiter der Sonderabteilung II/10 zur Bekämpfung der Nuklearkriminalität auf militärischem Gebiet, Colonel John Curley, die Spezialagentin Victoria Miranda, im Range eines Lieutenant, Captain Bill Houseman und Spezialagent Captain Dick Fontana. Als einziger trug Curley eine Uniform, verziert mit etlichen Orden. Im Vietnamkrieg hatte er als Captain eine Sondereinheit befehligt und galt als Kriegsheld, obwohl niemand darüber sprach, welche Einsätze er erfolgreich durchgeführt hatte, aber nach der Zahl seiner Orden zu urteilen, mußten sie von großer Bedeutung gewesen sein. Er war jetzt siebenundfünfzig Jahre alt, ergraut und im Privatleben ziemlich wortkarg. Seine Ehe war vor sieben Jahren gescheitert. Gloria, seine Frau, hatte beim Scheidungsrichter angegeben, Curley sei ein Mann geworden, mit dem keine Unterhaltung mehr möglich wäre, der nur vor dem Fernsehapparat sitzt, Whisky trinkt und in seiner fernsehfreien Zeit Schallplatten anhört, am liebsten Musik von Wagner und davon am allerliebsten den Walkürenritt aus der Oper ›Die Walküre‹. Sonst lief nichts mehr … keine Zärtlichkeit, kein Sex, nicht mal ein Kuß. Die Ehe wurde wegen seelischer Grausamkeit geschieden.
Im Dienst aber war er ein gesprächiger Mann … seine Vorträge zur Lage waren präzise und von großer Sachkenntnis. Auch heute, am runden Tisch in dem kleinen Zimmer, faszinierte er seine Zuhörer.
»Wir haben seit Jahren davon Kenntnis«, sagte er, »daß es Schmuggelaktivitäten mit radioaktivem Material gibt. Ob Lithium, Uran oder Plutonium, alles ist auf dem Markt. Wir kennen die Länder, die an einer Atombombe basteln, um damit einen Machtfaktor in die Hand zu bekommen. Vor allem seit der Neuordnung der ehemaligen Sowjetunion ist die Gefahr aktuell, daß aus den bisher geheimen Produktionsstätten für waffenfähiges Nuklearmaterial kleinere oder auch größere Mengen, vor allem von Plutonium, in die interessierten Länder fließen. Wir kennen diese geheimen Atomwerke, aber uns ist auch bekannt, daß es in Rußland noch – bisher von uns nicht entdeckte – Forschungsstätten gibt. Bekannt ist auch, daß russische Wissenschaftler abgewandert sind und jetzt in verschiedenen
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