Tödlicher Staub
Boß der Bosse vorstellte. Dem Paten von Moskau. Dem Herrn über Plutonium und Uran. Dem Mann, der diese Welt vernichten konnte.
Wo aber war Igor Germanowitsch Sybin?
»Ich muß ihn sprechen«, sagte sie zu dem Geschäftsführer des Tropical. »Ich muß ihn unbedingt sprechen.«
»Kommen Sie heute abend wieder zu uns.«
»Sie glauben, daß er auch kommt?«
»Wahrscheinlich, er ist oft bei uns. Oder …« Der Geschäftsführer zögerte, aber sagte es dann doch: »Sie können ihn im Kasan finden, Lady. Dort ißt er besonders gern. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Er war noch so freundlich, ihr ein Taxi zu bestellen, denn um diese Zeit fuhr keines durch diese Gegend. Er blickte ihr nach und schüttelte den Kopf. Alle sind sie gleich, diese Weiber, dachte er und schloß hinter sich die Tür. Immer hinter den Männern her. Und am schlimmsten sind die Ausländerinnen …
In der amerikanischen Botschaft konnte es sich Victoria nicht verkneifen, zu Kevin Reed ins Dienstzimmer zu gehen. Er blickte hoch und ahnte nichts Gutes, als er ihren triumphierenden Blick sah.
»Sie brauchen sich nicht mehr zu bemühen. Kevin!« sagte sie. Er bemerkte sehr wohl, wie gut ihr diese Worte taten. »Ich weiß, wo ich Sybin treffen werde: im Restaurant Kasan.«
»Nobel, nobel!« Reed griff nach einer Akte und schlug sie auf, als habe er eine dringende Arbeit zu erledigen. »Da sieht man, wo unsere Steuergelder bleiben …«
»Affe!« sagte Victoria und warf hinter sich die Tür zu.
Aber Sybin tauchte auch am Abend nicht im Kasan auf, statt dessen eine Reisegruppe lärmender Finnen.
Ohne etwas zu essen, verließ sie das Restaurant. Dann morgen, dachte sie. Oder übermorgen. Ich habe Zeit, Igor Germanowitsch …
Als Sybin die kleine Empfangsdiele des Hotels Monique betrat, war Madame Juliette Bandu gerade damit beschäftigt, im Hinterzimmer frische Sardinen zu braten. Das ganze Haus stank nach Fisch, was Sybin so unangenehm war, daß er trotz seiner inneren Anspannung nur flach atmete.
Was ist nur aus Natalja in diesen drei Wochen geworden, überlegte er. Sie hätte in einem Schloß wohnen können, aber sie lebt in diesem Fischgestank! Welche Macht muß dieser Mann über sie haben, daß sie alles vergißt, was früher ihr Leben gewesen ist: Luxus, blumiges Parfüm, der gläserne Wintergarten in der Datscha, die teuersten Kleider der internationalen Modeschöpfer, ein Jaguarwagen, Pelzmäntel aus Wildnerz und Zobel, Schmuck der weltbesten Designer, alles, alles hatte sie bekommen … und sie tauschte es ein gegen ein Bett in einem schäbigen Hotel.
Sybin drückte die große Tüte mit dem Beil und dem Messer an sich und trat an die Rezeption.
Da niemand kam, griff er nach der auf der Theke stehenden Handglocke und klingelte kräftig. Ihr Ton war hell und durchdringend und rief Madame Bandu aus dem Hinterzimmer.
»Guten Abend, Monsieur«, sagte sie und putzte ihre Hände an einer blauen Kittelschürze ab. »Sie wollen ein Zimmer, Monsieur?«
Sybin verstand sie natürlich nicht und zeigte auf sich. Madame Bandu erkannte jetzt auf den zweiten Blick, daß der Zimmersuchende ein Ausländer sein mußte.
»Ich … Russe«, sagte Sybin.
»Ah! Ein Russe!« Madame Bandu warf einen schnellen Blick zur Treppe. Sie war keine dumme Frau, auch wenn sie etwas einfältig wirkte. Sie begriff sofort, daß es einen Zusammenhang geben mußte zwischen dem Mann, der vor ihr stand, und der wunderschönen Frau, die Bob Fulton seit Tagen mitbrachte. »Sie ist Russin«, hatte er zu ihr gesagt und ihr fünfzig Dollar auf den Tisch gelegt. »Besorgen Sie uns jeden Abend Kaviar, Madame, und eine Stange Brot dazu.«
Und sie hatte geantwortet: »Und Butter und gehackte Eier und Zwiebeln und einen guten, leichten Meursault. Ich weiß, wie man Kaviar ißt, Monsieur.«
Auch heute hatte sie das Tablett mit dem auf Eis liegenden Kaviar hinauf ins Zimmer gebracht und freute sich, daß sie zwei so glückliche Menschen bei sich beherbergen konnte. Fulton hatte auch den Namen der schönen Russin genannt: Natalja Petrowna. Und Madame Juliette sprach sie von da an auch nur mit Natalja an. Ihr gefiel der Name … er zerging ihr auf der Zunge wie ein knuspriges Croissant.
»Wer sind Sie, Monsieur?« fragte sie. In ihrer Stimme lagen Abwehr und Mißtrauen.
Sybin hob die Hand und zeigte nach oben. Seine Ringe blitzten im Licht der Deckenlampe. »Natalja Petrowna!« sagte er.
Madame Bandu schüttelte schnell den Kopf. »Non!« Das mußte auch ein Russe verstehen.
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