Tödlicher Staub
am Brandenburger Tor gejubelt, als man die Mauer einriß und es wieder ein vereintes Deutschland gab. Er fand es unerhört, daß Sendlinger die Vergangenheit wieder hervorkramte und ihn damit attackierte.
»Wie war es im ›Roten Salon‹?« fragte er ablenkend. »Hast du Natalja gesprochen?«
»Sie ist verreist. Nach St. Tropez.«
»Meine Ahnung … da steckt ein Mann dahinter.«
»Oder einfach nur die Lust, das Mittelmeer zu sehen. Sie soll noch diese Woche zurückkommen.«
»Und was sagen wir Sybin? Wie ich ihn kenne, fliegt er sofort nach Nizza, um Natalja in St. Tropez zu suchen. Hast du ihre Adresse?«
»Nein.«
»Aha! Auch der superkluge Dr. Sendlinger macht Fehler.«
»Sie kommt morgen oder übermorgen zurück, habe ich gesagt. Viel wichtiger ist, daß ich morgen nachmittag Awjilah in der iranischen Botschaft treffe. Der Vertrag ist perfekt: vier Kilogramm Plutonium.«
»Da wird Hässler Halleluja schreien, daß er das Zeug nicht mehr in seinem Keller verstecken muß.«
»Und für uns bedeutet das rund zweihundert Millionen Dollar. Du kannst deinen dämlichen Baustoffhandel aufgeben.«
»Im Gegenteil – ich werde investieren. Berlin wird bis über das Jahr zweitausend hinaus eine Baustelle bleiben.« Waldhaas blickte Sendlinger an. Was er jetzt sagte, war sein unumstößlicher Wille. »Und – Paul – das ist der letzte Deal, bei dem ich mitmache. Ich steige aus! Ich habe mehr Geld, als ich verfressen kann! Geld wird in dem Moment unwichtig, wo man genug davon hat. Ich kann mir jeden Wunsch erfüllen – was will ich mehr?« Er lachte kurz auf und blickte in Sendlingers verärgertes Gesicht. »Und was hast du in Zukunft vor?«
»Ich mache weiter. Plutonium wird nie aus der Mode kommen, solange es Machthunger und Fanatiker gibt. Und Waffen werden auf der ganzen Welt gebraucht. Außerdem will ich das Geschäft mit den Bakterien und Viren aufbauen.«
»Meinst du das im Ernst?!«
»Es ist das Geschäft der Zukunft. Bomben machen Krach, Bakterien sind lautlos und unsichtbar – und viel wirksamer.«
Waldhaas zuckte die Schultern, als wehe ihn ein eisiger Windhauch an. »Du bist unersättlich«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Du hast kein Gewissen. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte dich nie kennengelernt.«
Dr. Sendlinger schüttelte den Kopf, als könne er Waldhaas nicht verstehen. Für ihn waren Geld und Macht die einzigen Kriterien, die den Wert des Lebens bestimmten. Ein Gewissen kann sich nur der leisten, der jeden Monat sein festes Gehalt erhält.
»Gehen wir schlafen, Ludwig«, sagte er. »Ich bin müde.«
»Und Sybin?«
»Wird morgen früh in seinem Bett liegen. Ich vermute, daß er die Kunstfertigkeiten einer Pariser Hure studiert. Aber auch das hat Grenzen, eigentlich ist es doch immer dasselbe. Gute Nacht, schlaf gut.«
»Du auch!«
Waldhaas wartete, bis Sendlinger mit dem Lift nach oben fuhr, ging dann in die Bar und trank zwei Gläser seines Lieblingsgetränks. Cuba libre – Cola mit Rum.
Gegen zwei Uhr früh ging auch er auf sein Zimmer.
Sybin war noch nicht zurückgekommen, und Waldhaas hatte keine Lust mehr, noch länger auf ihn zu warten.
Am nächsten Morgen zogen zwei städtische Arbeiter Sybin an einem Auffanggitter aus der Seine.
Er schwamm zwischen leeren Dosen, abgerissenen Ästen, einem aufgeweichten Pappkarton, verendeten Fischen und einer toten Katze mit dem Gesicht nach unten im Fluß. Die Arbeiter zogen ihn ans Ufer, starrten verblüfft auf die dicken Ringe an den neun Fingern, sahen sich an, blinzelten sich zu und waren sich einig. Sie zogen die Ringe von Sybins Fingern, und da man neun nicht durch zwei teilen kann, bekam der eine vier und der andere fünf Ringe. Das war gerecht, denn er hatte den Toten zuerst gesehen.
Sie schleiften ihn die Böschung hinauf und putzten sich dort die Hände an den Arbeitshosen ab.
»Den haben sie aber zugerichtet«, sagte der eine, »zweimal den Kopf eingeschlagen.«
»Wetten«, sagte der andere, »das war 'n Zuhältermord. Mit den Ringen … wer trägt denn schon solche Ringe?«
»Möglich. Rufen wir die Polizei.« Er klopfte auf seine Rocktasche und lächelte strahlend. »Jetzt hab ich für Martine ein Geschenk zum Geburtstag und für Weihnachten. Ich sag's doch immer: Das Geld liegt auf der Straße, man muß es nur aufheben.«
Nitschewo …
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