Tödlicher Staub
Erfolge. Man rennt gegen Gummiwände, heißt es dort.«
Wallner breitete seine Akten auf dem Tisch aus. Die besten Kriminalexperten Deutschlands sahen ihn erwartungsvoll an, denn Wallner war immer für Überraschungen gut.
»Ich habe hier eine Liste zusammengestellt von den spektakulärsten Fällen von Atomschmuggel der letzten zwei Jahre. Uns wurden in diesem Zeitraum über zweihundert Straftaten bekannt.
Einige Beispiele:
Im Juli 1992 boten zwei Österreicher und zwei Polen in Berlin eins Komma acht Kilogramm Uran, Cäsium 137 und dreihundert Plutoniumkapseln an, die normalerweise als Rauchmelder verwendet werden.
Im Oktober 1992 wird in Frankfurt der bisher umfangreichste Atomdeal aufgedeckt. Am Hauptbahnhof und in einem abgestellten Auto findet die Polizei Cäsium 137 und Strontium 90 – ein Abfallprodukt aus Kernkraftwerken wie das Plutonium – in Behältern mit zweiundzwanzig Kilo dieses Nuklearmaterials.
Im Dezember 1992 werden in Bayern und Österreich sechzehn Atomschmuggler gefaßt. Sie hatten radioaktives Material mit einem Marktwert von zehntausend Mark für hundert Millionen Mark angeboten! Absender unbekannt, Empfänger nicht zu ermitteln. Vor Gericht spielen sie die Doofen. Erfolg: Zwei der Täter erhalten vom Gericht nur eine ›Ordnungswidrigkeitsstrafe‹. Ich hätte damals heulen können … mittlerweile haben wir uns an widersinnige Richtersprüche gewöhnt.
Im März 1993 gelingt ein bemerkenswerter Fang in Berlin. Ein Pole bot fünf Kilogramm hochgiftiges Uranoxid U 305 an. Für wen? Schweigen bis heute. Fehlanzeige.
April 1993. Großalarm aus Bremen. Ein Wink des BND … fragen Sie mich nicht, woher die Burschen das wissen. Vier Dealer, drei Deutsche und wieder ein Pole, bieten atomwaffenfähiges Plutonium an. Im Labor stellt sich heraus, daß das Plutonium nur minderwertiges Uran ist. Also ein Betrugsversuch. Woher das Uran stammt … auch hier bleibt die Suche im dunkeln.«
Wallner machte eine Pause, schob die Papiere zusammen und wischte sich kurz über die Stirn.
»Fassen wir zusammen, was wir bisher an Erkenntnissen gewonnen haben: Nichts! Kein Herkunftsland, keine Abnehmer. Man vermutet – ich betone: vermutet! – als Quelle die russischen Atomkraftwerke oder Atomforschungsinstitute. Beweisen können wir es noch nicht. Und was wir bisher sicherstellen konnten, war – grob ausgedrückt – Schrott. Aber das kann sich ändern. Wenn die zwanzig Gramm Plutonium, die Brockler gerade nach Köln bringt – und dabei muß es sich um eine Probe handeln –, wirklich hochangereichertes Plutonium ist, stehen wir einer der größten Bedrohungen unserer Welt gegenüber. Denn wo zwanzig Gramm sind, da gibt es noch mehr. Lieferbereit! Was da auf uns zukommt, ist im Augenblick noch gar nicht überblickbar.«
Wallner blätterte wieder in seinen Papieren und zog eine Tabelle mit einigen Zahlenreihen heraus. Die Kriminalbeamten an dem langen Tisch warteten gespannt. Was hatte Wallner sonst noch im Ärmel? Er benahm sich wie ein Zauberer, der aus seinen Manschetten weiße Mäuse herausließ.
»Sie alle wissen, was Plutonium ist.« Wallner warf einen Blick auf den Präsidenten. Nun paß mal auf! Auch ein Präsident kann noch lernen. »Aber kennen Sie auch die Einzelheiten? Auch wenn es für Sie langweilig klingt … diese Langeweile ist tödlich!«
Er legte die Unterlagen nebeneinander hin und begann, daraus vorzulesen. Es klang wie eine physikalische Lehrstunde.
»Plutonium gehört in die Gruppe der ›Seltenerdmetalle‹ und kommt in der Natur nur in ganz geringen Spuren vor. In Uranerzen, dem Grundmetall, kommt auf tausend Milliarden Urankerne nur ein einziges Plutoniumatom! Schätzungsweise gibt es in der Erdkruste nur wenige Kilogramm natürliches Plutonium. Also nicht erwähnenswert. Das änderte sich, als den deutschen Physikern Otto Hahn und Friedrich Straßmann im Jahre 1938 in Berlin ihre Experimente mit der Kernspaltung gelangen. Kernspaltung – das veränderte die Welt. Sofort nach diesem Erfolg wurde an der kalifornischen Universität von Berkeley der Versuch wiederholt. Dabei entdeckte der Amerikaner Edwin McMillan, daß bei der Kernspaltung weitere Elemente entstanden. Das von ihm bestimmte Neuelement nannte er ›Neptunium‹. Sein Mitarbeiter Glenn T. Seaborg analysierte ein zweites Spaltelement, das vorher von der theoretischen Physik berechnet worden war und besonders leicht spaltbar sein sollte. Seaborg nannte den neuen Stoff ›Plutonium‹. Ein Name, den er von dem
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