Tödlicher Staub
Bin ich zu einem Verbrecher geworden? Schädige ich mein Vaterland? Aber was tut das Vaterland für uns? Viele Menschen sollen gemäß der Abrüstungspläne entlassen werden, vielleicht auch ich, keiner kennt sein Schicksal … und was kommt dann? Kümmert es Rußland, was aus uns wird? Eine kleine Pension werden wir bekommen, weniger als ein Wachmann an der Straßenschranke nach Ozjorsk, und wenn ich früher oder später verrecke, wer sorgt dann für meine Frau und das Kind? Sollen sie betteln gehen? Sollen sie beide Huren werden? Dem Vaterland ist das gleichgültig – es nagt ja selbst an einem blanken Knochen. Für vier Kilogramm Plutonium zwei Millionen Dollar … Leute, da hören Gewissen und Moral auf, wenn man ein so armseliger Kerl ist wie ich. »Haben Sie einen Bleikasten dabei?« fragte er.
Sybin nickte. »Eine Box aus Stahl, mit Blei ausgekleidet. Zehn mal zehn Zentimeter groß.«
»Das genügt. Aber bei den Kilomengen …«
»Wir haben alles vorbereitet. Unser Freund Grimaljuk wird dir die Gefäße von einem Lastwagenfahrer bringen lassen, du füllst sie auf, und der Bleiwagen bringt sie aus Majak heraus, hierher nach Ozjorsk und weiter nach Tscheljabinsk.«
»Und das Geld?«
»Liegt auf einem Schweizer Nummernkonto.«
»Wer garantiert das?«
»Ich!« Sybin erhob sich. »Vertrauen gegen Vertrauen. Ich vertraue deiner Lieferung, du vertraust meinem Wort.«
»Wem kann man in Rußland heute noch vertrauen?«
»Mir, Lew Andrejewitsch.«
»Eine kleine Anzahlung wäre beruhigender.«
Sybin ignorierte diese versteckte Beleidigung. Timski war zu wertvoll, um ihm jetzt die Faust zu zeigen. »Ich werde großzügig sein. Wenn du übermorgen die Probe bringst, bekommst du tausend Dollar in bar.«
»Meine Frau und mein Kind bedanken sich, Igor Germanowitsch.« Timski deutete eine kleine Verbeugung an, drehte sich um und verließ mit schnellen Schritten das Hotel.
»Was hältst du von ihm?« fragte Sybin und setzte sich wieder. Grimaljuk zuckte die Schultern. »Ist er ein ehrlicher Mensch?«
»Nein …«
Sybin zuckte zusammen. »Nicht?«
»Wäre er ein ehrlicher Mensch, würde er uns kein Plutonium liefern …«
Da mußte Sybin lachen, so laut, daß sich einige Gäste im Restaurant zu ihnen umdrehten. Aber er lachte ungeniert weiter und trank das Fläschchen leer. An diesem Abend leistete er sich eine Bettgenossin, ein schwarzgelocktes Mädchen mit Tungusenblut, stürmisch wie ein sibirischer Wildbach. In der Stadt gab es viele von ihnen … hunderttausend Atomarbeiter suchten Abwechslung und eine Stunde Glück.
Am Vormittag des dritten Tages kam der Lkw-Fahrer ins Hotel und übergab Sybin ein schweres Päckchen. Er war sehr wortkarg und sagte nur: »Ein Gruß von Lew Andrejewitsch … und tausendfünfhundert Dollar.«
»Tausend waren abgemacht!« entgegnete Grimaljuk.
»Fünfhundert sind für den Transport. Nichts im Leben ist umsonst. Nur der Tod … den schenken sie uns hier.«
Er nahm das Geld, das Sybin in ein Kuvert steckte, und verließ sofort grußlos die Hotelhalle. Sybin betrachtete kritisch das Päckchen, das auf einem Tisch lag. »Damit kann man Tausende töten, wenn sie den Staub einatmen.«
»Zehntausende, Igor Germanowitsch. Ich darf jetzt nicht daran denken.«
»Das Denken sollten wir bei diesem Geschäft aufgeben. Bogdan Leonidowitsch, sorg dafür, daß das Zeug nach Moskau kommt. Ich fahre morgen weiter nach Krasnojarsk.«
Krasnojarsk-26. Die Stadt, die zu den zehn geheimsten Städten Rußlands gehörte.
Die Stadt in Westsibirien, die Plutonium für die Atombombe herstellt. In ihrem Arsenal lagert das Material zur Vernichtung der gesamten Welt.
Krasnojarsk-26. Die Hölle der Atomschtschiki.
Nicht nur Sybin war mit großen Hoffnungen und Erwartungen unterwegs, auch Dr. Sendlinger begab sich auf Reisen. Ludwig Waldhaas begleitete ihn; sein Baustoffhandel lief auch ohne ihn. Er beschäftigte mittlerweile drei Geschäftsführer und vierhundertdreißig Arbeiter, die sich bemühten, das Baumaterial für die neuen Großbauten in Berlin, Leipzig, Frankfurt/Oder, Rostock und Stralsund zu liefern. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands war die ehemalige DDR eine einzige riesige Baustelle geworden. Überall schossen die Neubauten aus dem Boden, ein Bauboom ohnegleichen überzog die Länder, und vor allem in den Großstädten entstanden modernste Paläste mit Banken, Geschäftsniederlassungen, Büros, Restaurants und Versicherungen und Hotels und Supermärkten, wie man sie bisher noch
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