Tödlicher Staub
noch?«
»Ich bin nicht der erste, sagten Sie? Das klingt, als ob aus Majak bereits Plutonium hinausgeschmuggelt wurde.«
Sybin bestellte für Timski hundert Gramm Wodka und wartete, bis dieser ein halbes Gläschen hinuntergekippt hatte. Timski wischte sich über den Mund.
»Weiß ich, ob Sie ein Spitzel sind, Igor Germanowitsch …?«
»Sehe ich so aus?«
»Spitzel sehen nie so aus, wie man sie uns in den dummen Agentenfilmen zeigt. Aber – ich vertraue Ihnen. Also, das war vor einem Jahr. Da kam ein Deutscher hierher, wohnte wie Sie in diesem Hotel und kaufte vom Reaktor II genau dreizehn Kilogramm Cäsium 137. Was er damit wollte, was weiß ich? An dem Geschäft waren drei Freunde von mir beteiligt … die gingen einfach zum Lager und holten das Cäsium ab. Niemand hielt sie auf. Ein Lastwagen brachte das Zeug aus dem Sperrgebiet hierher zum Hotel. Der Deutsche hatte darauf bestanden, nur in Rubeln zu zahlen, bar, in kleinen Scheinen, weiß der Teufel, woher er die hatte. Sechsundfünfzig Millionen Rubel bezahlte er für das Cäsium 137 … Sie werden es nicht glauben: Es waren zwei Säcke voller Scheine. Zwei Kellner trugen die Säcke zum Wagen, und das Geschäft war gelaufen.«
»Und wie hat der Deutsche das Cäsium weggebracht?«
»Das hat keinen interessiert. Meine Freunde sind mit den sechsundfünfzig Millionen Rubel sofort wieder abgefahren. Ich frage mich, was macht man mit dem Cäsium? Ja, wenn es Plutonium 239 gewesen wäre …«
Jetzt, dachte Sybin, jetzt lassen wir die Katze aus dem Sack. »Ich brauche vorerst keine dreizehn Kilo, sondern vier bis fünf Kilo Plutonium. Waffenfähig. Mindeste Reinheit 84 bis 90. Wie sieht es damit aus, Lew Andrejewitsch?«
Timski senkte den Blick und starrte auf sein Wodkaglas. Sybin hielt unwillkürlich den Atem an; er wußte, daß er jetzt va banque gespielt hatte. Auch Grimaljuk begriff, daß Sybin einen Drahtseilakt begonnen hatte … entweder die Balance gelang, oder er stürzte ab.
»Vier Kilogramm?« Timski blickte wieder hoch. »Das ist viel … aber nicht unmöglich.« Sybin und Grimaljuk atmeten auf. »Es dauert nur eine gewisse Zeit.«
»Wie lange?«
»In drei Monaten könnte man das zusammengescharrt haben. In Pulverform, fein wie Staub. Das läßt sich am besten transportieren. Und vor allem … der Plutoniumstaub wird in meiner Abteilung gewogen und kontrolliert. Er liegt in einem Betonbunker, zweihundert Meter unter der Erde. Wir müssen ihn grammweise herausholen. Das fällt überhaupt nicht auf. Und einfach ist es auch … wegen der geringen Strahlungsweite bringen wir den Plutoniumstaub in Plastikbeuteln aus dem Bunker. In der Hosentasche! Und wenn er erst mal im Bleilaster ist, ist er so harmlos wie Tomaten oder Gurken. Da reagiert kein Kontrollsystem mehr, eine Entdeckung ist unmöglich.« Timski blickte Sybin nachdenklich an. »Aber … wie wollen Sie den Stoff von hier wegbringen? Ich nehme an, das Pulver soll sogar ins Ausland.«
»Richtig. Wir haben dafür besondere Behälter konstruiert.« Sybin legte seine Hand auf Timskis Handrücken. »Ehrlichkeit gegen Vertrauen: Wir haben verschiedene Wege, todsichere Transporte. Der eine Weg: Wir werden das Plutonium ganz einfach mit der Eisenbahn befördern. In einem Güterwagen, gefüllt mit Sand oder Steinen, liegen ganz unten unsere strahlensicheren Container. Das kontrolliert niemand, so wie bei Ihren Bleiwagen. In Moskau werden die Container dann zum Militärflughafen Tschkalowskoje gebracht und von dort mit Armeetransportflugzeugen nach Brandis bei Leipzig geflogen. Kein Zoll darf die Militärtransporte kontrollieren, und keine deutsche Polizei darf eine russische Kaserne betreten. Die Piloten aus Moskau bekommen pro Flug fünfhundert Dollar in die Hand gedrückt. Dafür tun sie alles! Und da es ständig Lieferungen für die noch in Ostdeutschland verbliebenen Truppen gibt, haben auch wir keinerlei Transportprobleme.« Sybin blickte Timski sehr ernst an. »Sie wissen nun sehr viel, Lew Andrejewitsch … auch wenn ich Ihnen nur einen Weg verraten habe … Wenn Sie Ihr Wissen weitergeben, werden Sie nicht an der Verstrahlung sterben, es ginge dann schneller.«
Timski ging auf diese Drohung nicht ein, denn er hatte mit einer solchen Entwicklung des Gespräches gerechnet. Wer waffenfähiges Plutonium kaufen will, der ist kein normaler Metallmakler, wie sie jetzt in Majak auftauchten. Mit Genehmigung der Regierung und unter den Augen der russischen Atomaufsichtsbehörde in Moskau erschienen
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