Toedlicher Staub
Bürgersteig. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal nach dem Gesicht ihres Vergewaltigers zu schauen. Er redete angeregt mit jemandem in der Bar, so entspannt wie einer, in dessen Leben eitel Sonnenschein herrscht. Ihn zu hassen und seinen Tod zu wünschen fiel wahrlich nicht schwer.
Tore Moi hörte nicht recht zu, als Mario Cannas, sein Partner, ihn nach Neuigkeiten bezüglich des Deserteurs und der Tierärztin fragte. Es gab neue Probleme, und der Senator hatte ihn zu sich bestellt und angewiesen, sie schleunigst zu lösen. Tore hatte geantwortet, er möge unbesorgt sein, auch wenn er absolut nicht wusste, wie er vorgehen sollte. Ein sardischer Unteroffizier, der seit einem Somalia-Einsatz an Krebs litt, drohte, öffentlich auf dem »Altar des Vaterlandes« in Rom zu sterben, dem Vittorio-Emanuele-Denkmal. Seit zehn Jahren kämpfte er tagaus, tagein gegen die Krankheit und gegen den Staat, der ihm trotz der Versprechungen diverser Minister, die dann nie wieder etwas davon wissen wollten, die nötige Behandlung verweigerte. Er war der sardischen Öffentlichkeit wohlbekannt, und die Zeitungen berichteten immer, sobald er wieder eine Protestaktion startete. Tore hatte bereits versucht, seine Kontakte bei der lokalen Presse dafür zu sensibilisieren, dass sie der Sache nicht zu viel Raum gaben, denn jedes Mal gab es auch Kritik an Perdas de Fogu, aber er musste sich anhören, mittlerweile gebe es auf Sardinien selbst einfach zu viele Kranke und Tote, als dass man so tun könne, als ob nichts wäre, und er solle sich lieber bei den hohen Tieren des Militärs beschweren, die noch nicht begriffen hätten, dass es ein miserables Bild abgab, wenn die betroffenen Soldaten und ihre Familien sich selbst überlassen blieben. Tore sah das selbst auch so und hatte den Ex-General darauf angesprochen, doch der war kategorisch gewesen: herunterspielen. Alles. Immer. Und Tore musste sich ans Telefon hängen und versuchen, das Leck mit Hilfe von Tricks, Bekanntschaften, diskreten Schmiergeldzahlungen und Drohungen zu stopfen.
»Was hast du gesagt?«, fragte er, als ihm bewusst wurde, dass er Cannas überhört hatte.
»Ich habe gefragt, ob es in Sachen Nazzari und Tola was Neues gibt.«
»Nichts. Darum sollten sich schleunigst die Idioten kümmern, die Ceccarello geschickt hat.«
»Ich frage das, weil mir ein Einfall gekommen ist …«
Moi drehte sich um und sah ihn an.
»Und zwar, dass wir Sebastiano Trincas noch gar nicht nach den beiden gefragt haben«, fuhr Mario fort.
»Du hast recht. Ich sag das diesem Berater. Verdammte Scheiße, was sind diese Pseudosoldaten für Arschlöcher«, platzte er laut heraus. »Das muss man sich mal vorstellen, da heuern sie einen an, dass der ein paar Idioten hilft, zwei Leute zu beseitigen, und schon nennen sie ihn Berater.«
»Tore.«
»Was denn?«
»Eben weil es Idioten sind, wäre es da nicht besser, ich würde selbst mit Trincas reden?«
»Ist gut, tu das und erinnere ihn daran, dass wir ihn bei den Eiern haben.«
Mario strahlte. Endlich etwas anderes als niedere Handlangerdienste.
Tore hatte die Sache schon abgehakt und sprach am Telefon auf einen Ministerialbeamten in Rom ein. »Ihr seid schon wieder mit der Zahlung im Rückstand; der Mann muss die Medikamente aus eigener Tasche vorstrecken«, erklärte er. »Das steht hier überall in den Zeitungen, sehr ungünstig! Es ist sowieso keine einfache Zeit, da können wir uns keine zusätzlichen Schauplätze leisten. Dottore Saltarini, ich apelliere an Ihr Gewissen, wir kennen uns schon so lange …«
Pierre Nazzari war außer sich. »Ihr fahrt in der Gegend rum, und ich sitze in diesem Scheißbett fest«, rief er. »Ich brauche Hilfe! Kapiert ihr das mal? Ich muss essen, trinken, pissen und mich waschen wie jeder normale Mensch.«
Sebastiano blickte Nina an, die den Kopf schüttelte. »Denk nicht mal dran«, zischte sie boshaft. »Ich werd doch nicht dem Typen, der meine Arbeit geklaut und verkauft und mich bis zum Hals in die Scheiße geritten hat, auch noch den Hintern abputzen?«
»Aber eine Krankenschwester rufen kann ich nicht«, erwiderte Sebastiano.
»Mach’s doch selbst.«
»Ich muss wieder weg und ein paar Dinge in Ordnung bringen.«
»Willst du dir den Typen aus der Bar vornehmen?«
»Genau das habe ich vor«, log Trincas.
Nina zündete sich eine Zigarette an. »Na gut.«
Sebastiano hatte einen simplen Plan: Ghisu aufsuchen und ihn fragen, wer den Doppelmord und die Brandstiftung bestellt
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