Tödlicher Steilhang
der Podbielskiallee auf den Termin wartend, war die Angst wieder da, eine Spannung, die ihn zittrig machte. Er glaubte, leicht zu vibrieren, die einzig angenehme Vorstellung von etwas Ess- oder Trinkbarem war momentan ein Kamillentee.
Hannover war ihm in kurzer Zeit fremd geworden, schneller als erwartet, die Menge und Wucht der hohen Häuser, der eingeschränkte Horizont, das fehlende Grün, die Masse an Stein und Beton, dazu Straßenbahnen und Masten statt Bäume. Das Viertel, in dem er Rose treffen würde, auf der anderen Seite der Stadt, war gänzlich anders, nur wollte er sich damit einstweilen nicht beschäftigen, die Nervosität vor dem Treffen schob er beiseite. Darin hatte er Übung, leider hielt sich das flaue Gefühl.
Miriam beanspruchte nach Angabe des Anwalts von allem die Hälfte und das Haus für sich allein – und zusätzlich die Hälfte des Gehalts, das er angeblich als Geschäftsführer eines Weingutes bezog, monatlich dreitausendfünfhundert Euro, wie ihr Anwalt geschrieben hatte. Die Summe musste er sich aus den Fingern gesogen haben. Diese Forderung bestätigtedem Anwalt, dass sie mit COS in Verbindung stand, nur von Baxter konnte die Information über seinen Aufenthaltsort stammen.
Die Forderung war lächerlich, leider musste jede noch so abstruse Behauptung einzeln widerlegt werden, und Personen wie Sauter wurden in ihr Scheidungsdrama hineingezogen. Es war peinlich und ekelhaft, und es war abzusehen, dass sich der Prozess über Jahre hinziehen würde und nur die Anwälte und Gerichte daran verdienten. Wie würde der Streit ums Sorgerecht ausfallen, was als »Wohl des Kindes« definiert werden?
Georg wagte gar nicht, dem Anwalt die Frage zu stellen, Miriam würde jede noch so aberwitzige Behauptung aufstellen, nur um ihm zu schaden, zumal er keine irgendwie stabil geartete Lebenssituation vorweisen konnte, in der er für eines der Mädchen sorgen konnte. Was er nicht wusste, war, wie sehr die beiden sich nach den Wünschen der »Kindsmutter« richten würden, allein schon um des lieben Friedens willen.
»Ihre Töchter werden selbst entscheiden, bei wem sie leben wollen. Damit das Gericht dem auch zustimmt, brauchen Sie einen neuen Job, eine Wohnung und ein Einkommen. Sie müssten Gelegenheit haben, sich um die Kinder kümmern zu können. Andernfalls sieht es schlecht aus.«
Sie besprachen in den nächsten Stunden die Erwiderung auf Miriams Schriftsatz und welche Dokumente Georg beibringen musste, besonders in finanzieller Hinsicht, um die aus der Luft gegriffenen Behauptungen zu widerlegen. Der Anwalt errechnete für ihn, was er an Unterhalt zu zahlen hatte, es war bedeutend weniger als gefordert. Und er würde sich um einen Makler kümmern, um das Haus schleunigst zu verkaufen. Es war so gut wie abbezahlt.
»Grämen Sie sich nicht unnötig darüber, dass Ihre Frau einige Hunderttausend Euro erhalten wird. Die Lage ist gut und gesucht, die Preise sind es auch – sehen Sie es als den Preis der Freiheit.«
»Mehr als Preis der Befreiung. Bis zur Freiheit dauert esnoch ein Weilchen«, entgegnete Georg mit dem Gefühl, sich auf hauchdünnem Eis zu bewegen.
»Was Sie von der Mosel berichten, klingt doch gut. Wollen Sie dort bleiben?« Für den Anwalt lag die Vermutung nahe, als er von Georgs Begeisterung für den Weinbau hörte. »Was haben Sie vor, welche Situation könnten Sie für die Kinder schaffen?«
Georg dachte an Susanne Berthold und an das Durcheinander seiner Gefühle, das Auf und Ab, die Verwirrung, die ihn hier in Hannover ergriff, wo alles vertraut und gleichzeitig fremd war, belastet, kontaminiert von Auseinandersetzungen, vom Hadern mit sich und anderen. Ein Neuanfang wäre es wert, das aufzugeben. Und gleichzeitig gab es Erinnerungen an gute Momente, an schöne Stunden, an Freunde, die er durch die Art, wie er sein Leben geführt hatte, verloren glaubte.
Hilflos blickte er dem Anwalt in die Augen. »Es ist zu früh für weitreichende Entscheidungen. Scheidung – ja. Aber ich habe momentan nichts, was ich den Kindern bieten könnte. Außerdem steht uns die Auseinandersetzung mit COS bevor, ich glaube, Baxter ist zu allem fähig. Es ist nicht nur er, ich habe die gesamte Organisation gegen mich. Es wäre unverantwortlich, die Kinder mit reinzuziehen.«
»Meines Erachtens sind sie bei Ihnen besser aufgehoben, das sage ich nicht, weil ich Ihr Anwalt bin, sicherer sind sie bei Ihnen auf jeden Fall. Wenn COS das ist, was Sie vermuten, müssen Sie auf alles gefasst sein.
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