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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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verstehen, Frau Berthold, dann bleibt mir leider nichts anderes übrig, als zu gehen.« So dünnhäutig, wie er war, fühlte er sich im höchsten Grad missverstanden, und beleidigt stand er auf.
    Erschrocken riss sie die Augen auf. Erst jetzt begriff sie, was sie gesagt hatte. Er warf einen Blick zum Sofa hinüber, auf dem Kilian sich zusammengerollt hatte. Wieso zerstörten die Menschen eigentlich immer wieder aufkeimendes Leben? In ihrem Schmerz schlugen sie stets auf die Falschen ein.
    Er ging zur Tür, schloss sie genauso leise wie die zum Hofund stand auf der nächtlichen Straße. Erst da drehte er sich um. Es war kein Blick zurück im Zorn, es war einer im Schmerz, und ihm traten die Tränen in die Augen. Aus, vorbei! Oder war es zu einfach gewesen? War sie nicht die Frau, die sie zu sein vorgab? Suchte sie einen Narren, der sich mit der Mitleidsnummer ködern ließ und der umsonst für sie arbeitete? Das mit der Beteiligung war von ihm nur so dahingesagt gewesen. Er hätte gern geholfen. Jetzt war sie wieder da – die Leere. Die Schlaftabletten lagen auf dem Nachttisch.

    Aber Georg kam nicht dazu, sie zu nehmen. Sein Telefon klingelte, als er ein Glas Wasser holte, um die Pille runterzuspülen.
    »Hier ist zwar nicht die Hölle los«, meinte Pepe, »trotzdem solltest du sofort kommen. Ich bemühe mich, meiner Rolle als Kindermädchen gerecht zu werden. Dein Schützling hat Detektiv gespielt, jetzt sitzt er in der Falle.«
    »Was ist passiert?«
    »Frag nicht. Schwing dich in den Flitzer und komm!« Damit war für Pepe das Gespräch beendet.
    Georg trank das Wasser, mit dem er die Schlaftablette hatte runterspülen wollen, wechselte in seine Arbeitskleidung und dachte daran, sich eine Waffe zu besorgen. Er glaubte, dass Keule eine trug, er meinte, etwas Ähnliches unter seiner Lederkombi gefühlt zu haben, als er ihn an sich gedrückt hatte. Die Angelegenheit durfte nicht eskalieren, sie musste geklärt werden.
    Vor dem Haus kam ihm eine Gestalt entgegen. Es dauerte einen Moment, bis er Susanne Berthold erkannte. Schweigend blieb er stehen.
    »Ich wollte zu dir«, sagte sie kleinlaut. »Es tut mir leid, mein Verhalten von eben. Ich bin so … durcheinander. Es tut mir unsäglich leid.«
    »Mir auch«, entgegnete er. »Nur habe ich jetzt keine Zeit für weitere Erklärungen, ich muss los …«
    »Um diese Uhrzeit? Vorhin haben Sie nicht so ausgesehen, als ob Sie … hat das mit Ihren Freunden zu tun?« Unvermittelt wechselte sie wieder zum »Sie«.
    »Ja und nein, mehr damit, dass kleine Jungen sich für Männer halten und sich in Sachen einmischen, die sie nicht überschauen.«
    »Etwa Klaus?«, fragte sie knapp.
    Georg breitete vielsagend die Arme aus. »Ich muss wirklich los.«
    »Soll ich Ihnen meinen Wagen leihen? Ihrer ist ja … kaputt?« Susanne Berthold war neben ihm in Richtung Moselparkplatz hergegangen und suchte das Ziel, auf das er zusteuerte.
    »Besten Dank, aber ich habe noch ein … ich habe mir ein … einen Wagen geliehen.«
    »Dann passen Sie bitte auf sich auf.« Sie griff nach seiner Hand und drückte sie.
    »Das Leben ist die unlogische Verkettung von Missverständnissen, nicht wahr?«
    »So kann man es sehen«, seufzte sie, blieb abrupt stehen und packte seinen Arm. »Ich komme mit. Ich lasse Sie jetzt nicht allein fahren.«
    »Es kann gefährlich werden …«
    »Gerade deshalb. Ich fahre mit!«
    Hoffnung oder Ablehnung mussten warten, Klaus war in Gefahr. Georg war nie zuvor nachts in derart halsbrecherischem Tempo über eine Landstraße gerast. Zum großen Glück aller anderen Verkehrsteilnehmer waren diese in den Betten oder Kneipen. Ein in Panik vorpreschendes Reh wäre für beide tödlich gewesen. Susanne Berthold klammerte sich mit einer Hand an den Sitz, mit der anderen an den Haltegriff über der Beifahrertür.
    Georg durchdrang mit seinen Augen die Nacht, suchte bereits in fünfhundert Meter Entfernung mögliche Hindernisse. Als er die Rücklichter eines Wagens sah, merkte er, dassdie Bremsen so gut funktionierten, wie sein Wagen beschleunigte. Klaus war in Gefahr, Georg war dafür verantwortlich. Er begriff, dass er zu sehr mit sich beschäftigt gewesen war, Selbstmitleid führte selten zur Selbsterkenntnis – und auch diese Gedanken waren überflüssig, alle Gedanken, die sich nicht aufs Fahren bezogen, waren bei hundertsiebzig Stundenkilometer überflüssig, sie konnten tödlich sein.
    Nach zehn Minuten raste er an Pünderich vorbei, drei Minuten später sah er vor sich

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