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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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bedingt, in der Menschheitsgeschichte angelegt. Wenn man Junge um sich hat, ist man immer in Alarmzustand, alle Sinne sind wach, man riecht die Gefahr, heißt es.«
    Mehr nach innen gekehrt sprach sie weiter. »Ob Frauen andere Weine machen, ist schwer zu sagen. Es wird sich zeigen, wenn mehr Frauen unseren Beruf ergreifen. Die Maschinen nehmen uns die schwere Arbeit ab. Früher waren in Geisenheim höchstens fünf Prozent der Studenten weiblich, heute ist es die Hälfte. Wir Frauen sind wie Männer auf bestimmte Geschmäcker getrimmt – durch unsere Eltern, gezwungen vom Markt und von Moden. An der Mosel kommt noch hinzu, dass wenig Kommunikation besteht. Man verkostet selten zusammen, man tauscht sich nicht aus, wie ich es andernorts erlebt habe. Das sieht man an der Brücke, das macht es kompliziert. Die Pfälzer zum Beispiel sind bei Weitem offener.«
    Woanders ist es immer besser, dachte Georg, immer da, wo man gerade nicht ist. Es käme auf einen Versuch an. Nur – was sollte er in der Pfalz, wo er nicht einmal hier richtig angekommen war?
    »Hier zieht jeder sein eigenes Ding durch, der Blick auf den anderen ist immer kritisch, und es gibt viel Neid. Dabei könnte man doch von denen lernen, die es besser machen. Aber nein! Für Neid muss man sich nicht anstrengen. Dann bekommt man wieder von anderen gesteckt, was wieder andere von einem denken. Was glaubst du, welche Gerüchte über mich kursierten? Es kam sogar das Gerücht auf, ich hätte den Vater der Kinder beseitigt. Ich mag mich nicht daran erinnern.«
    Bei diesen Worten bekam sie wieder den harten Zug um den Mund, von dem Georg befürchtet hatte, dass es ihr Dauerzustand sei. In den letzten Tagen jedoch gefiel sie ihm immer besser, er glaubte, dass sie schöner geworden sei, dass sie hellere Farben trug, weniger Schwarz, dafür mehr Blau, und heute trug sie sogar eine rote Bluse, die weit über die Jeans fiel. Und sie ließ es zu, dass aus dem sonst streng zusammengenommenen Haar die eine oder andere Strähne herausrutschte, ohne sie sofort wieder zurückzustecken.
    »Was schaust du mich so an?«, fragte sie verunsichert und zog sich hinter eine Entschuldigung zurück: »Ich habe uns noch gar nichts zu trinken geholt. Ich dachte, wir sollten mal etwas vergleichen, und ich zeige dir einen Wein, der so ist, wie ich meine gern hätte. Ob ich es hinkriege, steht auf einem anderen Blatt.«
    Sie kam mit einer Flasche von Markus Molitor zurück. »Eine drei Jahre alte Spätlese, sie stammt von der gleichen Lage wie meine Weine, theoretisch müsste es möglich sein.« Sie schenkte von dem gelbgrünen Wein ein, der öliger als Wasser ins Glas floss. Erwartungsvoll sah sie Georg am Glas schnuppern.
    Er empfand den Duft als ungewöhnlich, er meinte, das zu riechen, was jemand als petrolische Note bezeichnet hatte, aber er war sich nicht sicher.
    »Das kommt beim Riesling häufig vor«, erklärte Susanne, »dieser Geschmack entsteht durch ein Molekül, Trimethyl-Dihydronaphtalin. Ich schätze diesen Ton bei gealterten Gewächsen. Bei jungen Weinen ist es Ausdruck von Stress und zu hohen Erträgen.«
    Jeder Tag brachte einen neuen Begriff. Und für seine Verhältnisse war Georg schon davon angetan, das Mineralische vom Schiefer im Wein wiederzufinden. Bei den Fruchtnoten kam etwas wie Zitrone durch und etwas, das er kannte, aber nicht benennen konnte. Die leichte Süße gefiel ihm, die feine Säure ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, derBegriff »stoffig« kam ihm in den Sinn  – und weich. Es war ein schöner Wein, nicht bissig, nicht sauer, nicht süß, gerade richtig.
    »Ich sehe es dir an, er gefällt dir. So ein Wein kann sieben bis acht Jahre altern, unter drei Jahren sollte man ein Gewächs dieser Art nicht trinken. Ja, da will ich hin, jetzt weißt du es. Der Molitor hat mit achtzehn Jahren angefangen, auf anderthalb Hektar – wie lange soll das dann bei mir dauern? Aber der Molitor arbeitet zu viel, er rackert sich ab, jetzt hat er eine neue Kellerei, er genießt nicht.«
    »Tust du das etwa?«, bemerkte Georg, und kaum hatte er es ausgesprochen, tat es ihm leid. Er wiegelte ab. »Wer von euch nimmt sich Zeit? Alle Winzer, die ich kennengelernt habe, leben im Stress.«
    Er schaute auf die Uhr – Mitternacht war mal wieder vorüber. Die Abende mit Susanne wurden länger, und er lächelte. »Es ist Zeit, wir müssen morgen alle früh raus.«
    »Du hast mir sehr geholfen«, sagte sie und stand auf. »Du machst mir Mut.«
    »Und woher kommt

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