Tödlicher Steilhang
lernen Sie am meisten. Achten Sie bloß darauf, dass Sie nicht im Weg stehen, sonst meckert Bischof.«
Sie stiegen eine breite Treppe hinunter und gelangten in den Gewölbekeller des Weingutes. Es war der älteste Teil desGebäudes, er stammte aus dem siebzehnten Jahrhundert, und seine Gänge schienen sich auch im Dunkel jenes Jahrhunderts zu verlieren. Die Wände waren aus groben Steinen gefügt, sie waren schwarz überzogen und glänzten feucht. An einigen Stellen traten eiserne Armierungen hervor, an anderen Stellen wieder waren Schäden mit Mörtel ausgebessert worden. Rechts blinkte eine Reihe von Tanks aus Edelstahl in diversen Größen, einige reichten vom Boden bis an die Decke, andere waren klein und passgenau übereinandergestapelt, ihnen gegenüber standen mannshohe Holzfässer, die vorderen hell und glänzend, die am Ende der Reihe waren schwarz und alt.
»Also – der Most kommt von oben aus der Presse, dann leiten wir ihn zum Teil in einen Absetztank, darin setzen sich die Feststoffe ab. Und wenn das durch ist, kommt er in einen dieser Tanks.« Klaus zeigte auf das Ensemble aus Edelstahltanks und Holzfässern. Oben in den Spundlöchern steckten gebogene gläserne Röhrchen. Klaus erklärte ihm die Funktion:
»Das Gärdäbbsche, wie wir sagen, ist doppelt gebogen, wie das Abflussrohr unter dem Waschbecken. In der Verdickung des Gärröhrchens steht Wasser, da kann zwar das Kohlendioxid, das bei der Gärung entsteht, entweichen, weil der Druck innen größer ist als außen, aber nichts kommt durch die Wasserfalle rein, wie etwa Essigbakterien, die den Wein verderben. Hier liegen die Weine, die seit dem letzten Jahr noch immer gären, die Spontis, wo wir nicht mit Hefe nachhelfen. Bischof lässt sie gären, wie sie wollen. Nach der alkoholischen Gärung im Herbst beginnt im Frühjahr, wenn es wärmer wird, die Malo, die zweite Gärung, die malolaktische. Die scharfe oder stärkere Dicarbonsäure wandelt sich zur schwächeren Monocarbonsäure, anders gesagt, von der Apfelsäure zur Milchsäure. Einige Weine füllen wir direkt nach der ersten Gärung ab, da bleiben sie spritzig, klar in der Säure, stahlig, wie man sagt, und mineralisch. Nach der Malosind sie weicher, solche machen wir auch. Etliche Kunden mögen das lieber – wer die Säure nicht verträgt –, dem Chef gefallen sie auch besser. Aber ich merke«, er sah es an Georgs hilflosem Gesichtsausdruck, »ich überfordere Sie.«
Klaus machte eine großzügige Handbewegung, als würde er sein Orchester präsentieren. »Lassen Sie sich Zeit. Das kann unser Bischof Ihnen besser erklären.«
»Weshalb gibt es so viele unterschiedliche Fässer, weshalb Edelstahltanks und Holzfässer?«
Was für Georg Neuland war, war für Klaus, obwohl erst im zweiten Lehrjahr, bereits Routine. »Wir haben verschiedene Lagen, einmal die Sonnenuhr, dann den Deutschherrenberg und den Schlossberg. Die sind alle anders, haben andere Böden, eine andere Wasserführung, eine andere Bodenstruktur. Da helfen die Gärfässer, den Charakter des Weinbergs deutlicher zu zeigen, oder man bringt den Wein bewusst in eine bestimmte Richtung. Wollen Sie noch mehr wissen? Auf dieser Seite, der Hunsrückseite, haben wir noch Parzellen in Erden und Lösnich, da wird die Brücke rüberführen. Auf der Eifelseite bei Ürzig, im Würzgarten, haben wir auch eine kleine Parzelle. Da ist der Boden anders, es ist verwittertes rotes Vulkangestein und Schieferboden, und sie ist viel steiler.«
»So steil wie oberhalb von Zeltingen?« Georg erinnerte sich an den Ausflug mit dem schmerzhaften Ende.
»Steiler – und auch Terrassen. Überall entwickeln sich die Trauben anders, Sie werden das selbst sehen, es dauert allerdings eine Weile, bis man es kann.«
Georg bezweifelte es, bei seinem Aufstieg hatte für ihn alles gleich ausgesehen.
»Wir haben junge und alte Weinstöcke. Sollten wir die Trauben zusammen vergären? Das wäre schade um die Unterschiede. Dann gibt es die diversen Qualitätsstufen. Einige Trauben lesen wir früh, zum Beispiel für Kabinettweine, andere wieder spät, die berühmte Spätlese, da sind die Öchslegrade höher, es ist mehr Zucker und auch ein höherer Extraktin den Beeren drin. Dann kommen Auslesen und Beerenauslesen, dafür nehmen wir jede Beere in die Hand und prüfen sie. Bleiben Sie zur Lese bis September oder Oktober?«
»Das nehme ich an«, sagte Georg und wusste es selbst nicht, er begriff ja jetzt kaum, wo er sich befand. »Und wieso diese großen
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