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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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ich mich nicht zum Essen in einem Laden verabreden, in dem ich mir höchstens ein Wasser und eine Suppe leisten kann und dann noch erzählen muss, ich sei auf Diät, nur damit keiner weiterfragt. Es gibt Tage, an denen möchte ich nicht shoppen gehen und ständig so tun, als würde mir nichts richtig passen, während die anderen Tüte um Tüte aus den Geschäften tragen. Ich möchte nicht lächeln und nachfragen, wenn es darum geht, was sie als junge Mädchen so gemacht haben: Schulaufführungen, Pferde, Segelboote, Familienurlaube. Es gibt Tage, da fühle ich mich all dem einfach nicht gewachsen.
    Aber ich weiß, wie Normalsein geht, und strenge mich an.
    Ich mache uns einen koffeinfreien Latte, und sie kommen wieder nach drinnen, setzen sich an den Küchentisch und reden darüber, dass Bahnreisen in Europa etwas ganz anderessind, als mit Amtrak-Zügen zu fahren. Dann geht es darum, wohin wir am liebsten reisen würden, wenn wir die freie Wahl hätten. Exotische Namen machen die Runde: Tahiti, Paris, Nairobi, London. Dann bin ich dran.
    »New York«, sage ich. »Einfach nur New York. Für immer.« Ich grinse. »Mit einer Autorenzeile in der Times natürlich.«
    Soline lächelt milde, schüttelt den Kopf und schlägt ihre schönen langen Beine übereinander. »Du hast New Orleans im Blut, Süße. Das weißt du genau.«
    »Blödsinn. Mich zieht’s nach New York. Schon lange.«
    »Hm. Na, wir werden ja sehen.« Damit senkt sie lächelnd den Blick auf ihre schimmernden Nägel.
    Wir reden darüber, wie zäh es mit der Sanierung der Stadt vorangeht, über die Pläne, die vor einem Jahr veröffentlicht worden sind und aus denen noch nicht mehr hervorgegangen ist als ein gepflasterter Fußweg an einem Lagerhaus entlang. Wo sind die Städtebauer, die in New Orleans das neue Amsterdam gesehen haben, mit Deichen, Schleusen und Kanälen überall, einem ganzen System, das kontrollierbar wäre und sicher? Was ist aus diesem Plan geworden? Immer noch stehen auf vielen Grundstücken Behelfsunterkünfte von der Katastrophenschutzbehörde FEMA, versinken Häuser, um die sich keiner mehr kümmert, schreien ganze Viertel danach, dass endlich etwas passiert.
    Man kann hier nicht mit Leuten zusammen sein, ohne dass die Rede darauf kommt. Welches Thema man auch anschneidet, irgendwann geht es unweigerlich um Katrina und die Tatsache, dass die Regierung uns komplett im Stich gelassen hat. Das Verbrechen, die Hoffnung und dann die langsam einsetzende, endlose Enttäuschung. Inzwischen, drei Jahre danach, kann man durchs French Quarter schlendern, ohne einen einzigen Hinweis darauf zu entdecken, dass hier ein Hurrikan gewütet hat. Es gibt Stadtteile, in denen es gut aussieht, alles wieder normal, als hätte es Katrina nie gegeben. Aber unsere kollektive Erinnerung verblasst nicht. Unser Leben in NewOrleans hat jetzt zwei Abschnitte: davor und danach, und das vergeht auch nicht. Selbst wenn niemand das Wort ausspricht – Katrina ist immer präsent.
    Als meine Freundinnen schließlich aufbrechen, ist die Stimmung trotz des Essens, trotz der Drinks und des lebhaften Gesprächs eher gedämpft. Ich umarme sie zum Abschied und gebe ihnen in Plastikdosen verstaute Reste mit, Schweinefleisch, schwarze Bohnen und Reis. Nachdem sie gegangen sind, empfinde ich in der Wohnung plötzlich eine Leere, von der ich nicht weiß, wie ich sie füllen soll.
    Man könnte meinen, ich sei erschöpft nach diesem Tag.
    Aber so ist es nicht. Ich bin rastlos.
    Zur Not tut es auch ein Barkeeper, aber dann kannst du in diese Bar nicht mehr gehen. Mit Bauarbeitern ist es so eine Sache: Bei allem Gejohle und Gepfeife erweisen viele von ihnen sich doch als Familienmenschen mit Herz und Gewissen – und wenn sie noch nicht verheiratet sind, wollen sie dich heiraten. Außerdem sind sie von Kopf bis Fuß mit diesem Staub überzogen, und wenn ich beim Vorspiel dauernd niesen und ausspucken muss, macht das irgendwie die Stimmung kaputt.
    Will ich todsicher guten Sex, an den nichts weiter geknüpft ist, treibe ich mich ein bisschen bei einem der Bolzplätze herum und gabele für eine kurze, schmutzige Begegnung einen hondureño oder guatemalteco auf. Keine Verbandelung, keine Romanze, kein Zusammentreffen mit irgendeiner Familie. Und garantiert kein gemeinsames Erwachen in meiner Wohnung, nach dem man endlos Buttertoasts in starken Kaffee stippt, zusammen auf dem sonnigen Balkon sitzt, die Füße hochlegt und, von Pheromonen benebelt, dümmlich von einer gemeinsamen

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