Toedlicher Sumpf
angeschlurft in ihren rosa Hausschuhen, und ich schließe die Schranktür einen Tick zu hastig.
»Nichts, Mama.« Mein Alkoholkonsum bereitet ihr ebenso Sorge wie mein Liebesleben. »Ich räume nur auf.«
In der Wohnung meiner Mutter bestreiten die Jungfrau Maria und ich die gesamte Dekoration. Fotos von mir, aufgenommen im Laufe der Jahre und gerahmt wie Ikonen, stehen auf sämtlichen Regalböden und Fensterbänken, und in jedem Zimmer ist mindestens eine Wand mit einem Marienbildgeschmückt. Ich erinnere mich, dass ich meine Mutter vor langer Zeit, noch in den Desire Projects, einmal gefragt habe, warum wir nicht auch eins überm Klo hängen hätten: Unsere Liebe Frau der Regelmäßigkeit. »Wirst du wohl still sein«, hat sie gesagt. Aber es hat nicht lange gedauert, da tauchte über dem Lichtschalter im Bad eine laminierte Postkarte mit dem Bildnis der Jungfrau von Guadalupe auf.
Wenn du zwischen lauter Bildern von dir selbst und der berühmtesten Jungfrau aller Zeiten aufwächst, verrät dir das einiges über die Erwartungen, die deine Mutter hegt. Von meinen Fußball-Liaisons habe ich ihr nie erzählt. Abgesehen davon, dass vorehelicher Sex Sünde ist, verbietet die katholische Kirche jede Art von Empfängnisverhütung. Würde ich Mamá von den Männern erzählen, hätte sie Angst, ich könnte schwanger werden oder mir eine ansteckende Krankheit holen, würde ich ihr aber erzählen, dass ich verhüte, hätte sie Angst, dass ich in die Hölle komme. Ihr Gehorsam gegenüber der Kirche ist unerschütterlich. Sie würde sich eher die Pulsadern aufschneiden, als sich den katholischen Dogmen zu widersetzen (»Lehre«, korrigiert sie mich immer, »nicht Dogma«). Also behalte ich meine kleinen Beutezüge für mich. Ich erzähle ihr von meinen seltenen Verabredungen mit Latino-Akademikern, sage aber gleich dazu, dass dabei nie etwas herauskommt, und das ist nicht gelogen. Sie hält mich für eine Karrierefrau, die zu sehr mit ihrem Job beschäftigt ist, um sich auf eine Beziehung einzulassen, und ich lasse sie in dem Glauben. Sie macht sich Sorgen wegen meiner mangelnden Aussichten auf Liebe und Romantik, und ich lasse sie. Das ist einfacher, als ihr zu sagen, wie es ist.
Jeden Sonntag nach der Messe räume ich ihren Kühlschrank auf, wedele den Staub von den Deckenventilatoren (ihr wird schwindlig, wenn sie sich so weit zurücklehnt), befestige alles, was wackelt, und erledige andere Kleinigkeiten, die anfallen. Muss der Vermieter in ihrer Wohnung etwas reparieren lassen, schreibe ich mir das auf und rufe ihn am Montag an. Wenn siemit ihm telefoniert, ist sie nervös. Manchmal fällt ihr das passende englische Wort nicht ein, und er wird ungeduldig. Ich sehe auch ihre Kontoauszüge durch, um sicherzugehen, dass alles gedeckt ist. Bei Geld wird sie nervös; bei dem Gedanken an Banken wird sie nervös, bei allem und jedem, was mächtig ist, wird sie nervös.
Sie ist jetzt neunundfünfzig und war ihr Leben lang machtlos, erst in Kuba unter den Kommunisten, wo sie auf dem Feld gearbeitet hat, dann hier in den Staaten unter den Kapitalisten, wo sie putzen gegangen ist. Neuerdings, da es als wünschenswert gilt, Spanisch zu lernen, arbeitet sie für den Mindestlohn in einer Tagesstätte, wechselt Windeln und füttert die Kinder fremder Leute. Immer hat sie mit ihren Händen gearbeitet, immer in den Diensten anderer.
Jetzt hoffen wir, dass sie sich die Wohnung noch leisten kann, wenn sie in Rente geht. Kein Wunder, dass das Volk sich nach Opium sehnt. Für meine Mutter sind es die wöchentliche Dosis Pomp in der katholischen Messe und der Wild Turkey, den sie konsumiert, wann immer sie sich unwohl fühlt – und selbst jetzt, da wir die Desire Projects hinter uns gelassen haben und sie, ganz in meiner Nähe, eine nette kleine Wohnung für sich hat, fühlt sie sich oft unwohl. Ich verstehe das und verurteile sie nicht. Ein Leben lang unter nervlicher Anspannung – das geht an niemandem spurlos vorüber. In den Kaffee gemengt, wirkt Wild Turkey absolut respektabel, und sie schläft danach besser.
Obwohl sie nur zwei Zimmer und ein Bad hat, empfindet sie die Wohnung als luxuriös, sagt sie, denn sie ist größer und hübscher als die, in der wir während meiner ersten achtzehn Jahre zu zweit gelebt haben. Auch dort, in den Desire Projects, hatten wir nur zwei Zimmer und ein Bad: das Wohnzimmer mit der Küchenzeile an einer Wand und ihr kleines Schlafzimmer. Das winzige, fensterlose Bad, das bei den Kakerlaken so beliebt
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